Don Cosmo  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 04.06.2023 11:07 Uhr
Thema: In Memoriam Antwort auf: Scheiss Alkohol von Don Cosmo
Disclaimer: Ich weiß nicht wirklich, wo dieses Posting hin geht, ob welche folgen werden, ob es eine Art … Abrechnung oder nur eine Erinnerung werden wird, Rechtfertigung oder vielleicht nur ein Erklärung.

Joe war unglaublich komplex, in vielen Gesprächen hat man die glasklare Logik, die sein Leben bestimmte, immer wieder gespürt. Am Ende denke ich, hat ihn diese Logik auch das Leben gekostet, denn es musste nur für ihn logisch sein und das schloss eine Gesamtbetrachtung seiner Situation ein: Er war in Therapie für seine Sucht, das war nicht selbstverständlich und in Anbracht seiner Historie vielleicht viel zu spät begonnen. Jedoch oder vielleicht auch gerade deswegen schätzte er sich selber in seinem Fortschritt womöglich falsch ein.

Die Therapie selbst war für ihn quasi der Weg, der helfen sollte und musste, mehr einschneiden wollte er nicht in seinem Leben. Denn es war ohnehin voll. Denn er war ein Typ, der 100% wollte bei den Sachen, die ihm Spaß machten oder zumindest einen Ertrag: Natürlich begonnen bei Videospielen, wo er Achievements und Trophies haben wollte. Bei Kraftsport, wo sein großes Idol Stallone immer Vorbild war. Oder auch seiner YouTube-Karriere, die natürlich daran gekrankt hatte, dass er keinen stetigen Content gebracht hatte. Inhaltlich und vom Schnitt war das auf vergleichbar hohem Niveau.

Alles musste sich jedoch der Arbeit unterordnen. Er hatte stets die Sorge, wie er sein Leben nach dem Beruf sichern kann als selbständiger Übersetzer. Ich hatte ihn, Captain Future und Ramza 1997 kennen gelernt, als er gerade noch im Japanologie-Studium war, das er dann jedoch wegen der guten Übersetzerjobs nie beendet hatte. War er mir damals noch geradezu ein Vorbild, merkte ich jedoch schnell, wie unbarmherzig und brutal diese Branche im Kern ist. Man pickt sich nicht die Sahnestückchen raus (wie Wind Waker oder FF IX) und hat da seine Freude: Auch die noch so dümmsten Mangas mussten übersetzt werden, damit man vom Anbieter beim nächsten Job, den man wirklich machen will, auch noch die Anfrage bekommt und dann dort mit Lust zugreifen kann.

Das führte dazu, dass er zu viel annahm. Zusammen mit Captain Future war er oftmals in London für die Pokemon-Spiele. Was der Karriere zugute kam und auch ein Netzwerk an Kollegen förderte, Übersetzer für Spanisch und Englisch und Co. Aber für den deutschen Markt mussten parallel auch Mangas übersetzt werden. Der Beginn allen Übels war eine Periode, in welcher die beiden (ich meine) 12 Wochen am Stück sowohl irgendein Pokemon als auch 3-4 Mangas übersetzen. Keine wirklichen Wochenenden, durchgehend 12-14 Stunden pro Tag nur ackern.

Burnout war die Folge, absolute Lustlosigkeit. Um aus diesem Tal heraus zu kommen, hat er dann begonnen irgendwas zu nehmen und dieser Rausch war als Antithese zu seiner Leere … er beschrieb es mir wie das vollkommene Glück. Und dem rannte er danach immer hinterher.

Joe war kein Trinker und er war auch kein Süchtling im eigentlichen Sinn. Er wollte glücklich sein. Und er schaffte das nicht im tagtäglichen Leben. Er trank in seinen nüchternen Phasen nie Alkohol. Und wenn, dann halt mal ein Bier und dann war es gut.

Das Problem war, dass ihm das Leben und der Alltag nach 1-2 Monaten einfach nicht genug waren. Er brauchte mehr. Ich hab ihm immer gesagt: „Ruf mich an, wenn Dir langweilig ist.Du bist IMMER bei uns willkommen.“ Wir waren früher quasi unzertrennlich, ich habe am Wochenende bei ihm auf den Boden geschlafen (er hatte nur eine Einzimmer-Bude), und davor bis 4 Uhr nachts irgendwas gezockt, PSO im Splitscreen oder wie auch immer. Oder ich hab bei uns gekocht, Ramza und CF und er kamen, die drei vor der Kiste, ich in der Küche, dann fressen, dann weiter zocken.

Irgendwann ändert sich das dann eben, ich war in Ausbildung/Beruf und Beziehung, er hatte immer wieder im Ausland zu tun, eigene Beziehungen … wir verloren uns nie aus den Augen, aber der Kontakt war sehr lose. Irgendwann schrieb er mir (und ich bin dankbar bis heute): “Hey, was ist eigentlich aus unserer tollen Freundschaft geworden?“ Und wir kamen wieder enger zusammen.

Dennoch hat er Jahre lang seine Abstürze vor mir verheimlicht, bis er dann mal 2015 oder so aus dem Krankenhaus aus angerufen hat. Ich hab ihm NDS gebracht. Und ne Nagelschere, weil er sich die Fingernägel schneiden wollte. Wir haben ewig geredet. Er wollte nur mal ein lustiges Wochenende haben. Flüssiges THC oder so, als das Weg war Bier und Vodka, bloß nicht raus kommen aus der Euphorie.

Seit da an habe ich immer versucht, ihn zu unterstützen und zur Therapie zu überreden und es hat Jahre gedauert, bis es gefruchtet hat. Aber nur durch bittere, eigene Schmerzen lernte er daraus. Wie ein Wasserfall hat er mir seine Beweggründe genannt und ich konnte alles nachvollziehen, ja, sicher … aber …. die Lösungen waren einfach nicht für ihn möglich: er konnte sich nicht leisten, 3-4 Monate intensive Therapie zu machen. Finanziell sicherlich, aber nicht von den Deadlines und nicht vor sich selbst.

Er hatte einen großen Freundeskreis und jeder half ihm immer wieder, aus den Phasen heraus zu kommen, aber es war über Jahre alle 2-4 Monate ein Absturz. Trotz allem kamen wir in einen Modus, wo wir jede Woche gemeinsam gezockt hatten und ich wußte, am besten immer den Tag vorher noch mal schreiben: „Und, alles klar für morgen?“ Auf eins konnte man sich stets verlassen: Wie manisch musste JEDE Nachricht beantwortet werden. Kam keine Antwort über nen halben Tag, war es zu 99% sicher, was los ist.

Gut, warum läßt man also irgendwann einen Freund im Stich?
Ich muss es ehrlich sagen, mir hat es zu Beginn unwahrscheinlich weh getan, diesen Cut zu machen und ihm auch vieles an den Kopf zu werfen, um ihn wach zu rütteln. Aber es war mein letztes Mittel. Der letzte Absturz im Herbst 22 war einfach zu viel des Guten. Er hatte eine Beziehung angefangen und war glücklich. Diesmal keine Japanerin, sondern ebenfalls Fitness-Enthusiast wie er. Und er wollte alles langsam beginnen: „Bevor ich auch nur daran denke, sie meine Freundin zu nennen, müssen erst mal 2-3 Monate vergehen!“ … keine 5 Tage später war er dann mit ihr zusammen. Ich verdenke es ihm nicht und hab mich gefreut, weil es jemand war, der „hier“ lebte und er nicht versuchen musste, diese Person hier zu integrieren (Ich hab sie nie kennen gelernt).

Ich krieg es jetzt nicht mehr auf die Reihe, wie das alles genau ablief, jedenfalls meldete er sich dann wieder eine Woche lang nicht und … es ist ne unglaubliche Tortur in der Ungewissheit zu sein. Liegt er tot am Boden? Hat er nur sein Telefon kaputt gemacht? Ist er schon wieder auf dem Weg nach draußen? Was kann ich tun? Wann kann ich es tun? Man hat ja sein eigenes Leben… Freunde anrufen und nachfragen, wann die was gehört haben und die damit nerven. Es ist eine Belastung, wenn man schlaflos im Bett liegt und die Gedanken kreisen.

Irgendwann also die Polizei angerufen und die fanden ihn dann in der Bude sternhagelvoll. Die machen natürlich nix, weil er müsste selber sagen, dass er mit will und dann käme er wohl in eine Institution oder weiß der Geier. Also wieder vorbei fahren … Scherben aufsammeln, mit ihm reden, sich von ihm tausend mal umarmen lassen (er war handzahm wie ein Lämmchen im Suff), Zigaretten ausdrücken, aufstehen, hinlegen, trinken, Boden wischen … und am Ende musst Du wieder nahezu unverrichteter Dinge gehen.

Es kommt kein Krankenwagen für nen Alki, der nicht gleich aus dem Fenster springt. Entnüchterungskliniken haben tolle Sprechzeiten (Mittwochs, von 13 bs 14 Uhr), bei denen man bitte vorbei schauen soll. In einem Krankenhaus nehmen sie ihn nur auf, wenn die Notaufnahme nicht voll ist und er dann sagt, er WILL aufgenommen werden. Wie bringt man ihn da hin, was ist, wenn er dann sagt: „Nee, ich will lieber nach Hause!“ (alles schon mitgemacht). Wir hatten mal, dass er sagte: „Ja, bitte, ruft den Krankenwagen!“ …Kumpel war da und hat den Anruf gemacht, ich war nie energisch genug an der Hotline/110, die einen NUR abwimmeln wollen mit nem Alki. Endlich kommt der Krankenwagen und die untersuchen ihn, meinen auch, der müsste in die Klinik: „Joe, wollen Sie ins Krankenhaus, da sorgt man für Sie?“ - „Nein, ich will nur schlafen!“

Ey, Du stehst da wie der Depp, jedoch wissen die das halt auch. Sie haben ihn dann wenigstens mit genommen, konnten nix versprechen. Was passiert dann? Um Mitternacht haben sie den Kumpel dazu genötigt, Joe aus dem Krankenhaus abzuholen (immer noch dicht) und ihn wieder nach Hause zu bringen. Ich fass das bis heute nicht. „Entweder Sie holen ihn ab oder wir setzen ihn ins Taxi.“ Meine Güte.

Passiert ist das alles, weil er sich mit seiner Freundin gestritten hat. Sie wollte sich wohl immer einladen lassen (er sagte mir im Suff: „Don, findest Du das richtig, wenn eine Frau Dir sagt, sie will nicht auch mal zahlen? Sie sagte, ihre russischen Brüder würden sich schämen, wenn sie eine Frau zahlen lassen würden. Findest Du das richtig?“ Ich wußte ab diesem Moment, dass diese Beziehung niemals funktionieren würde. Dafür kannte ich ihn zu lange und seine Prinzipien.

Bis er aus diesem Loch wieder raus war, hatte es 8 Wochen gedauert, in denen ich noch 3-4 Mal da war, immer im Wechsel mit anderen Freunden. Ich hab ihm in der Zeit noch ein neues Smartphone besorgt, damit sein Halbbruder aus Tschechien ihn erreichen kann. Ich hab ihm alles da gelassen (Packung, Rechnung, Instruktionen für PIN und Passwort für Gmail) … jedenfalls meldete er sich dann mit einer Nachricht ala „Ey, weißt ja sicher, was los war. Danke für die Hilfe Beziehungsstreit hat mich übel erwischt. Aber wir wollen es noch mal versuchen? Wollen wir das mit einer Runde Zocken heute abend feiern?“

Mir blieb da echt die Spucke weg. Kurzes Danke, back to business und weiter im alten Trott? So ging es nicht weiter. Ich hab gesagt, ich will von ihm Sicherheiten: Zweitschlüssel für die Wohnung, jemand professionellen, der sich um ihn kümmern kann. Und den Zugang zu seinem verdammten Account als Druckmittel. Der war ihm heilig und ob das ne niederträchtige Erpressung ist mit dem Damokles-Schwert oder nicht: Mir war sein Leben wichtiger als sein Stolz. Und mehr Therapie, ruhig auf Kosten vom Sport, wo er 4-5 Mal die Woche für 2-3 Stunden hin ging. Therapie einmal für 1,5 Stunden.

Nun ja, natürlich nichts davon gemacht, weil: Noch mal so abstürzen, dass will er seiner Freundin nicht antun. Und Therapie kann sich ab einer gewissen Menge ins Negative verkehren. Und Zweitschlüssel kriegt die Freundin.
Ich war am Ende mit meinem Latein, kein Wort darüber, was er seinen Freunden antut. Ich hab es geschrieben, dann eben ohne mich. Ich hab ihm alles gute gewünscht und gehofft, dass wir uns irgendwann wieder sehen und auf diese dunkle Zeit zurück blicken können. Ohne Angst. Unbefangen. Freudig. Wie früher.

Danach habe ich seinen Account bei PSN geblockt, weil er für mich zu Schrödingers Katze wurde: Ich durfte nicht mehr wissen, wie es ihm geht. Snoopy hat ihn noch im WhatsApp, wo er immer ihre Bilder angeschaut hat. Und sie seine: Er hat so viel gemacht, wie nie davor, alles schien gut. Volksfest, Konzerte, Essen gehen, Grillen.

Der Rest ist nun Geschichte: Trennung Ende April, Tod vermutlich am 26.05. durch akute Alkoholvergiftung.

Hätte ich was anders machen können? Hätte er sich vielleicht bei mir gemeldet, wenn er mich noch als Rettungsanker gesehen hätte und mich nicht abgewandt? Ich weiß es nicht, vielleicht wäre er auch schon früher gestorben, wenn wir ihn nicht wieder und wieder beigestanden hätten. Es ist müßig, darüber nachzudenken und doch fühle ich mich schuldig. Aber leider: so bitter sein Tod auch ist, es war immer viel schlimmer nicht zu wissen, ob er schon tot ist oder nicht und man ihm nicht helfen konnte. Man kann keine 5-6 Tage permanent bei ihm bleiben und ihn von seinen 4,3 Promille runter bringen. Das ging nicht und es tat unglaublich weh.

Am Ende weiß ich auch nicht, ob er am Ende wirklich noch leben wollte. Das mag hart klingen, aber genau so hat er es mir im Herbst gesagt als er betrunken war. Davor nie. Er hatte Angst allein zu sein und keine Beziehung führen zu können und dieser erneute Schlag war zu viel für ihn.

Joe war ein super Typ, immer freundlich und höflich, manchmal noch wie ein 16-jähriger Tölpel, dann wieder ein Wissen-sprudelnder Gamer mit Herz und Seele, gerechtigkeitsliebend, fair und begeisternd. Wahnsinnig kreativ und willensstark. Ich werd ihn sicherlich nie vergessen und mich immer an die guten wie auch schlechten Zeiten erinnern. Ich glaube nicht an das Leben nach dem Tod und auch an kein Wiedersehen. Leider.

Ich wünschte, es wäre alles anders gekommen. Ruhe in Frieden, mein Freund.
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