Bullitt  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 04.04.2017 20:15 Uhr
Thema: Schluffig Antwort auf: Was fehlt, ist der letzte Feinschliff. von membran
>Vorweg, nach etwa vier Stunden Spielzeit in zwei Sessions ist das Spiel grundsätzlich viel näher an dem dran, was ich von einem "neuen" PnC erwartet habe und von Broken Age nicht bekommen habe. Es macht überaus Spaß, der Look ist super, die ganze Pillowfactorynummer ist super

Ja, es macht generell deutlich mehr Dinge richtig als falsch. Und zwar auf eine Art und Weise richtig, dass Thimbleweed Park auf jeden Fall die 20 Euro wert ist, wenn man die alten Lucas-Style Adventures mag.

>aber ich bin zum Meckern hier, also meckere ich jetzt.

Das verwundert mich jetzt.

>Der Rock Paper Shotgun Artikel hier ([https://www.rockpapershotgun.com/2017/03/31/everything-wrong-with-thimbleweed-park/]) kratzt nur an der Oberfläche - der komplette Titel lautet ja auch "... in the first three minutes", aber die ersten Minuten sind schon bezeichnend für das, was ich mit fehlendem Feinschliff meine.

Naja, dieser Artikel ist auch wirklich NUR für die ersten 3 Minuten relevant, denn nur dann wird man derart eingeschränkt und bevormundet. Ist halt ein Tutorial, in welchem neue Spieler die Formel "Klicke Verb -> klicke Objekt -> Zeug passiert" lernen. Ist mir auch zu billig, aber bevor ich mich darüber aufregen konnte, ist das auch schon wieder vorbei.

>- Die Stimme von Agent Ray ist super. Wir spielen fast nur mit ihr. Auch, weil im Vergleich dazu die Performance von Agent Reyes merklich abfällt. Seine Betonung ist an manchen Stellen... hölzern? Unpassend?

Stimmt schon, die Stimmen sind grundsätzlich gut, aber ein paar klingen etwas unmotiviert. Ich denke aber, bei der Menge an Text und dem eher endlichen Budget haben sie ordentlich was rausgeholt.

>- Ich hatte jetzt ein paar Mal den Fall, dass eine Dialogzeile sehr leise gesprochen wurde, vielleicht 20% der normalen Lautstärke.

Hatte ich exakt ein mal in knapp 10 Stunden.
Gilbert hat in seinem Blog mal gesagt, dass ihm die Berichte bekannt sind, das Team konnte es aber noch nicht verlässlich reproduzieren und hat daher noch keine Lösung. Wenn sie es finden, wird's sicher gepatcht.

>- Gesprochene Texte lassen sich nicht abbrechen oder überspringen, jedenfalls nicht mit einer Maustasten-Kombination (rechts, links, beide, mittlere Taste), oder ich hab die richtige Kombination nicht gefunden oder was anderes übersehen. Manchmal muss man nochmal durch einen "bekannten" Dialog durch und da wäre das schon ziemlich angenehm gewesen.

Das solltest du als Veteran aber wissen, wie das geht. :)
Davon abgesehen:
[https://storage.googleapis.com/images.thimbleweedpark.com/Help_en.png]
"The forgotten help screen... literally, we forgot to add it."

>- Das Spiel möchte einem gerne Hinweise geben, wenn einer der Chars einen Auftrag hat. Reyes wundert sich über das Verschwinden einer Person, eine junge Dame möchte gerne zum Briefkasten... und daran erinnern sie einen gefühlt alle 30 Sekunden. Was alleine schon etwas nervt, aber dass diese periodischen Erinnerungssätze auch sämtlich gerade laufende Sprachausgabe knallhart abbricht und ersetzt, ist schon ziemlich holprig. "This is a trophy that I won at I really should go check the mailbox!". Ugh.

Jup, Das gibt es in den Charakter-Intro-Flashback-Whatever-Sequenzen, wo der Scope für einen Moment künstlich klein gehalten wird. Wobei ich es nie erlebt habe, dass die mir dazwischen quatschen. Bei mir kamen die Bemerkungen nur, wenn ich irgendwo hin gehen wollte, was für diese Szene nicht vorgesehen war.
Aber ja, eine elegante Lösung sieht anders aus. Finde ich aber nicht wirklich schlimm, da diese Szenen kurz sind.

>- Besonders schade finde ich, dass beide Agenten genau dieselben Aussagen zu allem haben. Da haben sie es schon zweimal aufgenommen - Feinschliff wäre nun gewesen, jeder Aussage einen charaktertypischen Spin zu geben (Ray mehr zynisch-abwertend und Reyes eben mehr naiv-jovial).

Ja, ist semi-optimal. Das liegt ziemlich sicher an fehlendem Budget und damit fehlender Zeit. In irgendeinem Eintrag hatte Gilbert mal gesagt, dass das Skript deutlich größer geworden ist als geplant, und sie damit etwas in einen Engpass geraten sind. Dass sie dadurch lieber etwas an den Variationen gespart haben, anstatt den Umfang an sich zu kürzen, kann ich da nachvollziehen.

>- In dieselbe Kerbe schlägt, dass man nicht mit dem jeweils anderen Agenten reden kann. "Talk to" zeigt bei den Agenten kein valides Ziel. Eigentlich eine verpasste Chance, einerseits dem Spieler optional Hilfestellung zu geben ("Irgendwelche Ideen, Agent Reyes?"), aber auch eine verpasste Gelegenheit, ein wenig Banter hier und da je nach Situation zu ermöglichen.

Und hier sind wir bei dem Thema, was mich am meisten stört. Hier hätte mehr Priorität drauf liegen müssen. Die gesamte "Zusammenarbeit" der Agenten ist nicht nur hölzern und rudimentär, sondern ergibt häufig keinen logischen Sinn.
Zum Beispiel steckt Charakter A zwischenzeitlich fest, Charakter B kann aber nicht wissen, wie und wo A feststeckt. Trotzdem muss Charakter B aushelfen mit Aktionen, die aus Sicht von B völlig sinnlos sind. Als allwissender Spieler ist es logisch, aus Sicht der Story/Figuren nicht.

>- Ehrlich gesagt frage ich mich noch, warum man überhaupt zwei Agenten spielt, mal abgesehen von dem Mulder/Scully Ersteindruck, wobei die Charaktere natürlich nichts mit den beiden zu tun haben.

Sie haben wohl beide ihre eigenen Gründe, also in Sachen Story ergeben die beiden Agents Sinn. Zumindest für Reyes bin ich mittlerweile auf Motive gestoßen, bei Ray ist zumindest die Vermutung ja auch naheliegend, wie du selbst schon sagtest.

>- Und zum Abschluss der "zu wenig Voice Lines" Kritik: Sie hätten sich wirklich ein paar Variationen für das Öffnen leerer Schubladen und Schranktüren gönnen können. Da kommt man in einen Raum, der hat 10 oder mehr Schubladen und Schranktüren. Rechtsklick öffnet diese und spult den immergleichen Kommentar ab. "It's empty. It's empty. It's empty. It's empty. It's empty. It's empty. It's empty. It's empty.". Ugh.
>Drei Variationen hätten ja schon gereicht. "It's empty. There's nothing in there. I see nothing of interest."  Das per RNG abgespielt und gut ist.


Retro!

>- Das Spiel lässt einen Monkey2-Style zwischen Easy und Hard (?) Mode wählen, ich habe natürlich den Hard Mode genommen, was natürlich nur einfach der "richtige" Modus ist, aber bislang waren die Rätsel allesamt nicht wirklich der Rede wert.

Ja... nein... weiß nicht. Bei solchen Adventures hat ja immer jeder sein anderes Päckchen zu tragen. Was für dich offensichtlich ist, kann jemand anderes stundenlang übersehen. Insofern ist ein anspruchsvoller aber fairer Schwierigkeitsgrad hier äußerst heikel.
Und nein, Monkey Island 2 zum Beispiel war häufig nicht fair. Es ist ein Meisterwerk, aber kein Faires. "Screw the player" hatte Gilbert selbst im Audiokommentar der Special Edition gesagt, wenn ich mich korrekt erinnere. Das kann man heute so nicht mehr bringen, wenn man auch Neulinge ansprechen möchte - was sie mit Thimbleweed Park explizit wollen.

Davon abgesehen zieht der Schwierigkeitsgrad definitiv noch an, nachdem ein haufen neuer Locations dazukommt.

>- Einzige Ausnahme war eine bestimmte Aktion, auf die ich aber zum Glück nach einer halben Stunde herumlaufen gekommen bin. Diese ist nicht unbedingt intuitiv (ohne zu spoilern, ich hätte z.B. nicht gedacht, dass es sowas in den USA der 80er Jahre gab), und ist zu allem Überfluss auch noch die entscheidene Aktion, damit sich das Spiel weiter öffnet.

Ich kann mir vorstellen welche Stelle du meinst, und ich bin mir auch unsicher, ob das 80's ist oder nicht doch eher 90's. An ein Problem kann ich mich hier aber nicht erinnern. Dafür bin ich gefühlte Ewigkeiten an ein damit zusammenhängendes Detail gescheitert (Immer beliebt: lenke Personen ab), obwohl die Aktion im Nachhinein derart offensichtlich war, dass ich mir selbst ein Facepalm geben musste.

>- Die Referenzen auf die alten Lucasfilm Games, 4th Wall braking und das Sierra Bashing sind ja grundsätzlich willkommen, aber gefühlt haben sie da entweder ein wenig zu dick aufgetragen oder zu oft davon Gebrauch gemacht.

Wird mit der Zeit weniger.
Davon abgesehen gehört dieser Trash Talk halt zum guten schlechten Ton. Soweit ich mich erinnere, wurde schon früher sehr gern und häufig über Sierra hergezogen. Retro.

Insgesamt bin ich sehr zufrieden.

Full disclosure: ich habe viel Geld gespendet im Kickstarter, bin also komplett befangen.

(edit) Even fuller disclosure: Bei Double Fine Adventure habe ich jedoch ähnlich Geld reingesteckt, konnte mich aber trotzdem bis heute noch nicht überwinden, das auch mal zu spielen... Also ALLES rede ich auch nicht schön!

Christian

***Diese Nachricht wurde von Bullitt am 04.04.2017 20:21 bearbeitet.***
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