Don Cosmo  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 26.03.2020 09:58 Uhr
Thema: Re:Ein Bisschen Selbstreflektion in diesen Zeiten Antwort auf: Ein Bisschen Selbstreflektion in diesen Zeiten von Mschl
>Wenn ich im Augenblick die Medien durchgehe, rege ich mich über die anderen und die moralische Verwahrlosung unserer Gesellschaft im Allgemeinen auf: populistische Gruppen von rechts und links wollen sich jeweils gegenseitig zum Spargelstechen auf die Felder schicken, Jugendliche husten die Alten an und rufen dabei „Corona!“, die Alten wiederum gehen nach wie vor unbedacht auf die Straße und sind (zum großen Teil) diejenigen, die die „Panikmache“ übertrieben finden...

Das ist mir auch aufgefallen, dass aktuell viele Sündenböcke gesucht werden und für den bevorstehenden Wirtschaftskollaps Gegenmaßnahmen gesucht werden, die teilweise auf den ersten Blick komische Stilblüten treiben. Einerseits kann ich komplett verstehen, dass gerade die Bauern in der aktuellen Jahreszeit auf Saisonkräfte angewiesen sind und die derzeit nicht vorhanden sind. Andererseits hat man Leute, welche keine Arbeit haben ... aber die Frage ist doch, ob man das einfach so übereinander kippen kann? Kann der Baumarkt-Arbeiter Spargelstechen für 8-10 Stunden? Oder die Dame aus dem Reisebüro? Wie kommt sie da hin. Da sagt es sich recht einfach: "Die haben ja nun Zeit und wollen Geld, sollen sie doch mal hier was tun!", organisatorisch und logistisch, am Ende auch für den Bauern wertschöpfend muss es deswegen noch lange nicht sein, wenn er mit 30 Arbeitern rechnet und am Ende 15 auftauchen, die sich nach 2 Stunden sprichwörtlich vom Acker machen.

Ob ich die Corona-Huster, die komplett sorgenfreien Rentner oder die mit 3M-Maske und Handschuhen vermummten 20-Jährigen IT-Girls am meisten verachten soll, muss ich hingegen noch auswürfeln.

>Aber was ist mit mir? Eure Reaktionen auf meine dreitägige Zwangsquarantäne haben mich erschreckt. Nicht weil Ihr so zahlreich Euer Mitgefühl mitgeteilt habt, sondern weil ich im Vergleich eigentlich in der Zeit erschreckend gelassen und entspannt war. Nehme ich die Situation also wirklich so ernst, wie man sie nehmen sollte?

Bei mir wandelt sich der Schrecken und die Sorge jeden Tag aufs Neue. Mal bin ich zuversichtlich, dann wieder pessimistisch. Das liegt nicht unbedingt an den Nachrichten, sondern mehr an der "verfügbaren" Zeit darüber nachzudenken. Mit HomeOffice bin ich gut ausgelastet, mir fehlen aber durchaus die Kollegen (Sascha sagt sicher: und auch die Eierlikörparties im Cubicle!), dafür kann ich ein wenig unbelasteter nebenbei surfen ... wobei ich dennoch mehr schaffe als im Büro, wo es immer mehr Ablenkung gibt.
Wirkliche Sorge, dass ich mich anstecke und wenn doch, es nicht überleben würde, habe ich nicht. Bei Snoopy sieht es anders aus (Asthma, Zahnarzt ...), aber ich denke auch, zu viel Aktionismus, der am Ende in so Quatsch wie Hamstern endet, ist absolut kontraproduktiv.

>Kein Ding - ich mache alles mit: 1,5 - 2m Mindestabstand, hochfrequentes Händewaschen, keine sozialen Kontakte außerhalb der eigenen 4 Wände, usw.
>Aber mache ich das, weil ich wirklich das Virus ernst nehme oder weil man es in der allgemeinen Anspannung als moralisch denkender Mitbürger halt einfach mit Rücksicht auf die anderen so macht? Und jetzt die Selbstoffenbarung: eher letzteres.


Generell ist eines der Dinge, welche uns in diese Situation gebracht hat, der Egoismus der Menschen und die sinkende Rücksichtnahme, zumindest nach meinem Empfinden. Jeder musste immer mehr mit den Ellbogen durch die Gegend gehen, weil man sonst nur den Ellbogen in die Rippen gerammt bekommt, ob man es wollte oder nicht. Keiner sagt mehr genug Danke oder Bitte, die Leute erwarten immer behandelt zu werden wie König und dürfen sich verhalten wie Sau. Dass die Leute im Radio nun den Kassierern und Truckern danken ... ich find es befremdlich.

Warum hat man die Menschen nicht davor auch schon freundlich behandelt? Ich bemühe mich stets, jedem freundlich zu begegnen, rücksichtsvoll zu sein und hoffe auf ein solches Benehmen der anderen. Meist wird man enttäuscht und ich habe auch keine Hoffnungen, dass es nach der Krise-plus-ein-Monat nicht wieder fast so sein wird wie davor: Menschen gönnen sich dann erst recht den Urlaub in Fernost, die Freiheit wird erst recht genossen, ausschweifende Parties gefeiert. Schon jetzt sehe ich, dass die Depperl mit ihren teuren Karren inneren Reichstag feiern, weil die Straßen leer sind und sie nun mit 60+ durch die 30er-Zone fahren können, weil kein Fußverkehr da ist.

>Seit Montag hatte ich eher die Einstellung „Ich bin nicht alt, ich bin fit. Wenn ich es jetzt bekomme, habe ich es wenigstens hinter mir und bin immun.“ und nicht „Scheiße, das kann tödlich verlaufen! Was, wenn ich andere schon angesteckt habe?

Wie gesagt, ich würde mir da Sorgen um Snoopy machen, aber grundlegend sehe ich es genau so. Wobei ich nicht weiß, ob man wirklich immun wird?

>Was lerne ich daraus? Hat mich diese Erkenntnis zum Umdenken bewegt? Leider noch nicht wirklich. Aber so lange ich mich an alle Regeln halte, um meinen Beitrag gegen die Verbreitung des Virus zu leisten, ist es ja eigentlich auch egal wie ernst ich es selbst nehme. Oder sollte ich doch noch an meiner inneren Einstellung arbeiten?

Ich denke, DAS ist schon die richtige Einstellung. Man läßt sich doch auch die Impfungen geben, damit ANDERE Menschen es nicht bekommen, weil die Ansteckung bei einem selber gestoppt wird. Hier ist es die Isolation, welche das bis zu einem wirklichen Medikament oder ähnlichem verhindert.

Was mich bei der ganzen Krise am meisten stört, sind die vielen Lippenbekenntnisse: Man muss den Leuten helfen und gerechten Lohn zahlen, Truckern und Kassierern. Aber das passiert ja nicht "einfach" so, dazu müsste man Lebensmittelpreise und Co erhöhen. Genau die gleichen Rufe gibt es bei Bio-Produkten oder in der Fleischindustrie: Man müsste den regionalen Bauern helfen und die armen Tiere! Aber der Anteil daran, was davon gekauft wird ist in dem Maße, wie die Leute es sagen ein großer Witz. Auch hier wird sich nach der Krise wenig ändern. Zum Teil natürlich auch deswegen, weil die Leute selber zu wenig Geld haben, um sich hochwertige Lebensmittel zu leisten ... weil sie die Kohle lieber in Smartphones, Klamotten und Autos stecken.

Nun ja, am Ende vom Tag kann man nur sich selber im Spiegel betrachten und jeden Tag versuchen, es besser zu machen als gestern.
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