a gentle breeze  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 07.05.2011 01:50 Uhr
Thema: Haute Culture Antwort auf: Bücher und Lesestoff Thread part 2 von Michael K.
Ermutigt von einem Gewaltspiele-Verehrer hier im Forum mehr zu schreiben, versuche ich mal über die letzte von mir gelesene Buchreihe zu reflektieren. Kennt hier einer Iain Banks? Es handelt sich dabei um einen sehr umtriebigen schottischen Autor, dessen Bücher bei aller Verschiedenartigkeit ihrer Themen häufig eine unkonventionelle Erzählstruktur aufweisen und in denen mit gängigen Erwartungshaltungen und Klischees gespielt wird.

Das gilt ganz besonders für die Romane der Culture Novels. Diese spielen in einem utopischen Universum einer weit entfernten Zukunft, in der die verschiedensten Lebensformen und Gemeinschaften existieren, von der eine die namensgebende Culture darstellt. Die Texte erschienen in chronologischer Reihenfolge, sind aber nur mittelbar miteinander verbunden: gegenseitige Bezüge sind rar und zwischen den unterschiedlichen Handlungen können tausende von Jahren vergehen.

Was also macht die Culture aus? Dank einer unglaublich hoch entwickelten Technik ist Armut Geschichte. Es wird niemand mehr krank und die Lebenserwartung beträgt Jahrhunderte. Was machen nun die Menschen, welche nicht mehr verpflichtet sind zu arbeiten um ihre Existenz zu sichern? Was sie wollen! Entweder sie sehen sich freiwillig nach einer Tätigkeit um oder sie genießen die mannigfaltigen Unterhaltungsmöglichkeiten einer Gesellschaft, in der es kaum noch Tabus gibt. Sport, Raumflüge, Partys und Festivals sind an der Tagesordnung, doch entscheiden sich viele auch für ein Leben, dass der Forschung, Literatur oder handwerklichen Tätigkeiten gewidmet ist. Die Regierungstätigkeit in diesem geordneten, liberalen Anarchismus, der ohne Gesetze auskommt, übernehmen die Minds; künstliche Intelligenzen mit praktisch unbegrenzter Rechenkapazität.

Man kann geteilter Meinung über diesen Haufen von Hedonisten sein, unterm Strich beschreibt Banks die menschliche Gesellschaft eher positiv als eine Gemeinschaft von Individualisten, die ihre Möglichkeiten der freien Entfaltung ausgiebig nutzen. Ein Gefühl für den Stand der Technik bekommt man, wenn z. B. beschrieben wird, dass eine künstliche Intelligenz, welche nicht zulassen kann, dass in einem Bereich des Schiffes geraucht wird, um jeden Rauchpartikel ein Kraftfeld legt, welches diesen einschließt. Ein anderes mal wird eine Szene beschrieben, in der ein Unglücklicher im Vollrausch über eine Brüstung fällt. Die in der Nähe befindlichen Dronen, für deren komplexe Gehirne eine Sekunde eine Ewigkeit darstellt, haben nun viel Zeit sich darüber zu streiten, wer von ihnen den Retter spielen soll. Nach einer langen Debatte machte sich schließlich eine gemächlich auf, um dem immer noch Fallenden mittels eines Kraftfeldes eine weiche Landung zu verschaffen. Die technischen Möglichkeiten sind in dieser Hinsicht also fast unbegrenzt.

Kommen wir nun zu den eigentlichen Helden der Romane, den AIs, welche sich in Minds, Dronen, Raumschiffen oder sogar Suits manifestieren. Diese sind sie mal mehr, mal weniger "greifbar", weil sie nicht notwendigerweise an ihre ursprüngliche Form gebunden sind. Vor allem Raumschiffe lieben es, in Form von Avataren aufzutreten um ihrem Gegenüber einen Gesprächspartner zu bieten, oder auch nur, um mit dessen Aussehen etwas von ihrer Persönlichkeit zu offenbaren -- Computer sind in diesem Universum sehr exzentrisch. Als Individuen mit eigenen Interessen haben sie jedoch fast ausschließlich das Wohl der Menschheit im Sinn, was allerdings nicht heißt, dass sie nicht einen gewissen Sarkasmus jenen Wesen gegenüber entwickelt hätten, die ihnen in fast jeder Hinsicht unterlegen wären.

Dronen, die für den Geheimdienst eingesetzt werden, sind mit einer besonders hohen Intelligenz ausgestattet, wie auch mit einer Vielzahl von Waffensystemen: Effektoren manipulieren Materie, Micromissiles sind winzige Raketen mit großer Zerstörungskraft und die charakteristischen Knife-Missles zerschnippseln sowohl biologische als auch metallene Ziele in Sekundenbruchteilen mit Kraftfeldern.

Dieser Geheimdienst, Special Circumstances genannt, ist eine Abteilung von Contact, der Organisation, welche diplomatische Beziehungen zu anderen Zivilisationen koordiniert. In Star Trek-Manier soll hier ein Kulturschock weniger entwickelter Völker minimiert werden und im Idealfall, so lautet die Direktive, hält man sich besser aus den Angelegenheiten anderer heraus. In der Praxis jedoch ist man häufig gezwungen tief in die Trickkiste zu greifen, nicht zuletzt, wenn man Schlimmeres verhindern will.

In literarischer Hinsicht baut Banks auf klassischen soft Science Fiction auf. Deren Konzepte führt er mit leichter Hand weiter, hinterfragt oder ironisiert sie. Atemberaubend ist dabei das Selbstverständnis, mit dem alte Konventionen über Bord geworfen werden. In Excession beispielsweise erschrecken die Minds keine Sekunde über eine potentielle tödliche Bedrohung, mit so etwas ist im Weltraum eben immer mal zu rechnen. Wie damit umgegangen wird, und warum der Ausgang auch trotz quasi allmächtiger, selbständig handelnder Raumschiffe nicht offensichtlich ist, ist sehr spannend zu lesen. In diesem Buch werden die Funksprüche wie Chatlogs wiedergegeben, was ungewöhnlich ist, aber im Kontext kommunizierender Computer hervorragend funktioniert.

Einzig Banks' Gut-Böse Schema stört mich bisweilen. Die Bewohner anderer Welten sind häufig die größten Übeltäter, was etwas einseitig ist und leicht langweilig, bzw. ärgerlich ist, weil der Rest eben so gut durchdacht wurde. Immerhin ist Banks' Utopie eine weitgehend positive: Statt sich in düsteren Visionen zu ergehen, wie es im damals beliebten Cyberpunk üblich war, wird hier eine funktionierende Gesellschaft beschrieben, die anderen gegenüber viel guten Willen beweist und sich Gedanken über Möglichkeiten friedvollen Zusammenlebens macht. Realismus ist dabei völlig unerheblich, was wirklich erfrischend ist. Freunde von Hard Science Fiction werden hiermit vielleicht wenig anfangen können. Ich hatte ein wenig das Gefühl, Banks ignoriert die letzten achtzig Jahre voller komplexer, oftmals düsterer Zukunftsvisionen und führt die Space Opera der dreißiger in einer modernisierten Form weiter.

Wer die ersten beiden Romane hinter sich hat, dessen Lesegewohnheiten werden herausgefordert: In einem der Bücher nähern sich zwei Handlungsstränge vom Anfang und Ende des Buches aneinander an, ein anderes Buch zeigt die Umtriebe von Special Circumstances aus der Sicht der Bewohner einer primitiven Welt (da habe ich zwei Anläufe gebraucht). Einfach 'runterlesen is' nich'.

Die ersten beiden Romane:



Consider Phlebas: Eine typische Space Opera mit einem untypischen Helden, der zwischen die Fronten eines Krieges gerät, den die Culture mit dem Iridan Imperium ausfechtet. Vielleicht der schwächste Roman der Serie, weil er einige Längen aufweist. Wer schon weiß, dass er mehr als einen Culture Roman lesen wird, der sollte trotzdem damit anfangen, weil es der erste Roman in der Reihe ist und er hinterher, wenn er die anderen dann durch hat, seine Erwartungen nicht mehr zurückschrauben muss. Consider Phlebas kommt ohne experimentelle Erzählstruktur aus und ist eine gute Einführung für die wichtigsten Konzepte in diesem Universum. Ganz interessant fand ich wie die klassische Story um einen Helden, der die Welt im Alleingang und mit viel Glück rettet immer wieder als nur geringfügiger Beitrag für die Geschichte kontextualisiert wird. Sicherlich kein schlechter Einstieg.

Alternativ kann ich auch den zweiten Band für den Einstieg empfehlen:



The Player of Games: Der leidenschaftliche Spieler Jernau findet die ultimative Herausforderung als er im Auftrag des Geheimdienstes und in Begleitung einer Bibliothekars-Drone nach Azad reist, um dort als Stellvertreter der Culture zu spielen. Auf dieser Welt entscheidet der Ausgang des Spiels Ansehen und Profession, vielleicht sogar die Überlegenheit der Bewohner Azads. Je länger Jernau spielt, desto mehr erfährt er, was alles von seinem Sieg abhängt. Dieser Roman liest sich flott und bietet einige überraschende Wendungen, was ihn etwas besser als den o. g. macht. Leider ist die Hauptfigur sehr blass geraten und es fällt gar nicht einfach, sich ein Bild des Protagonisten zu machen. Die strenge Gut-Böse Dichotomie soll vielleicht hiesige soziale oder politische Verhältnisse kommentieren, fiel mir aber negativ auf.


Der Zyklus:

   1987 Bedenke Phlebas ('Consider Phlebas')

   1988 Das Spiel Azad ('The Player of Games')

   1990 Einsatz der Waffen ('Use of Weapons')

   1996 Exzession ('Excession'), Heyne München 2002, ISBN 3453196791

   2000 Blicke windwärts ('Look To Windward')

   2008 Sphären ('Matter')

   2010 Surface Detail ('Surface Detail')


Links:

[http://www.vavatch.co.uk/books/banks/cultnote.htm]

[http://en.wikipedia.org/wiki/Culture_series]
[http://en.wikipedia.org/wiki/The_Culture]

Ich habe die englischen Ausgaben gelesen und kann daher zu der Übersetzung leider nichts sagen.
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