c  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 21.02.2008 15:52 Uhr
Thema: Re:Schuld und Sühne... Antwort auf: Re:Schuld und Sühne... von Seriös
>Ich hab mich in Soziologische Themen niemals eingelesen, man möge also mein dilettieren verzeihen...

Ich auch nicht. Ich zitiere nur hin und wieder solche Sachen in Texten, weil es von mir erwartet wird, aber ich habe keinen Schimmer davon. Deshalb würde es mich auch einige Arbeit kosten (mehr als dich das Buch zu überfliegen) eine einigermaßen kompetente Antwort auf deine Fragen zu geben, weil ich einige Dinge noch einmal genau nachschlagen würde. Aus dem Stehgreif kann ich's aber mal versuchen, ich bitte um Verständnis, wenn es irgendwo hakt...

>Was ist in diesem Kontext der Staat? Wenn ich den Text hier so lese beschleicht mich das Gefühl als würde der Staat als eigenständige Entität mit so etwas wie einem Willen dargestellt, praktisch ein fast übernatürliches, auf alle Fälle übermenschliches Wesen, das seinen "Volkskörper" nach belieben formt?

Eine sehr gute Frage. Ich wünschte das Buch (ich hab's jetzt doch mal zur Hand genommen) hätte einen Index und man könnte irgendwo eine griffige Definition lesen, die diese Frage beantwortet. Die Antwort durchzieht den ganzen Text, ist komplex und vielleicht auch ein wenig überraschend: Der Staat, also der Unterdrücker und die Unterdrückten – oder neutral formuliert die Subjekte einer gesellschaftlichen Hierarchie und die Träger und Befürworter dieser Gesellschaft – sind wir alle.

Ludwig XIV hat (nicht) gesagt: 'Der Staat bin ich' und drückte damit sein Selbstverständnis als Souverän aus, der in seiner Person das politische System der Monarchie verkörperte. Daneben war er aber natürlich auch auch nur ein Mensch wie alle anderen auch: Er besaß also zwei 'Körper'; der eine konstituierte, bzw. war Teil eines abstrakten Prinzips mit einem rechtlichen Status, der andere unterschied sich nicht von dem seiner Mitmenschen, doch durch Amtshandlungen und Rituale eines Königs bestand eine Verbindung der beiden Ebenen.

Foucault nimmt also eine Trennung von gesellschaftlichen Subjekten als solchen und ihrer Stellung in der Gesellschaft vor. Um ein abstraktes gesellschaftliches Prinzip (Königtum) zu erhalten, wird auf der körperlichen Ebene gehandelt: dies nennt er die 'Ökonomie der Körper'.

Diesem Prinzip folgend kann man auch sagen, der Körper eines Individuums reduziere sich – nämlich dann, wenn es bestraft wird. Es ist nicht mehr Herr über seinen Körper, denn dieser wird seiner Freiheit beraubt, bzw. geschädigt. Hier findet die Figur des Königs ihre Gegengestalt im 'geringsten Körper des Verurteilten'.

Im Absolutismus ist die Macht personalisiert, sie geht von den Würdenträger aus, von den Königen, Fürstenn, Grafen, die Macht inne haben und ausüben. Diese Macht ist an ihre Person gebunden - eine zweite Ebene, in der deutlich wird, dass die Macht eigentlich an eine Funktion innerhalb eines Systems gebunden ist, bleibt verborgen.

Strafen sind und waren in dieser Zeit eine Machtdemonstration. Grausame Körperstrafen und öffentliche Hinrichtungen waren häufig und aus heutiger Sicht unangemessen brutal. Sie waren ein Mittel gegen denjenigen, der die Regeln eines Systems verletzt hatte und damit das System selbst herausforderte, denn wenn eine Bestrafung nicht erfolgte, konnte sich das System nicht mehr als Träger der Macht behaupten. Wenn also ein Verbrecher zu Tode gefoltert wurde, war das nicht willkürliche Ausübung von Gewalt, sondern eine wohl kalkulierte Machtdemonstration, mit der gezeigt worden ist, dass der Staat mächtiger und grausamer sein konnte als selbst der brutalste Verbrecher.

Diese Praxis veränderte sich allmählich am Ende des 18. Jahrhunderts. In der Epoche der Aufklärung war Rationalität der Schlüsselbegriff und man glaubte auch staatliche Autorität auf diese Basis stellen zu können. Man glaubte auch, eine perfekte logische Gesellschaftsstruktur finden zu können, welche in Romanen wie 'Memoirs of the year two thousand five hundred' von Louis-Sébastien Mercier beschrieben wird – aus heutiger Sicht wirkt diese sehr repressiv, weil eine Meinungsvielfalt nicht zugelassen wurde (wozu es bei einer angenommenen perfekten Gesellschaft auch keinen Grund gibt), aber im Kontext der Zeit war das sehr liberal und progressiv. In einer gerechten Gesellschaft ist es im Interesse aller Individuen, sich moralisch (also nach den Regeln dieser Gesellschaft) zu verhalten.

Dieses Konzept erwies sich als wesentlich ökonomischer, effizient und humaner als brutale Machtdemonstration, welche potenzielle Straftäter einschüchtern sollten. Allerdings brachte sie auch die genauere gegenseitige Beobachtung von Individuen mit sich und schuf klar definierte, immer engere sozial akzeptierte Handlungsräume, welche die Selbstwahrnehmung und das Sozialverhalten jedes einzelnen entschieden veränderten und prägten. Diesem Ansatz zufolge bedeutete eine Rechtsverletzung auch eine Schädigung der Gesellschaft und der Straftäter wurde somit zu einem gesellschaftlichen Feind, Fremdkörper und Außenseiter. Damit übertrug sich die Autorität der Machthabenden und ihrer Institutionen nun auf jedes Mitglied der Gesellschaft, von dem erwartet wurde, dass es sich selbst regiert.

Selbstverständlich ist die Verinnerlichung einer kollektiven Moral die Voraussetzung dafür, dass dieses System funktioniert. Aus diesem Grund veränderten sich auch die Institutionen, ihre Funktionsweise und ihre Aufgaben wie die Erhaltung der öffentlichen Ordnung, Strafen, usw. Straftäter wurden in zunehmendem Maße 'korrigiert' statt bestraft, es wurde versucht sie in die Gesellschaft einzugliedern, die öffentlichen Strafen verschwanden, es wurde auf die Situation des Straftäters eingegangen, d. h. 'Schuld' wurde relativ. Somit wurde der Körper nicht mehr gezüchtigt, er wurde überwacht korrigiert und dressiert.

Diese Entwicklung lässt sich sehr schön am Beispiel des Gefängnis veranschaulichen, denn dies ist, wenn man so will, ein Instrument der Moderne. Statt den Delinquenten zu foltern, beraubt man ihn seiner Freiheit, greift korrigierend in sein Handeln ein, setzt ihm enge Grenzen und hat während des gesamten Zeitraumes die Möglichkeit sein Handeln zu überwachen. Damit schafft man sich ein produktives Mitglied der Gesellschaft, dass sich auch wieder in diese eingliedern lässt. Somit ist die Geschichte des Gefängnisses auch eine Geschichte unserer Gesellschaft, nämlich die Geschichte unserer Befriedung und Zähmung in den Zuchthäusern, die uns als notwendige, nützliche, produktive, lebenserhaltende existenzsichernde Anstalten vertraut sind: Schulen, Kasernen, Betriebe, Krankenhäuser (dieser letzte Satz ist aus dem Klappentext).

>>Laut Foucault kann Repression und Überwachung nicht einfach als einseitiges Verhältnis einer Einwirkung auf einen zuvor "ganzen Körper" oder "ganzen Geist" verstanden werden. Macht, und mit ihr auch Repression, seien so nicht nur unterdrückend, sondern auch produktiv.
>
>Ein Rechtsstaat hat auch Vorteile, wer hätte das gedacht.


!!!

>Das würde doch Vorraussetzen das sich der Staat sich willentlich dieser Methoden bedient um seine Bürger zu kontrollieren. Aber wie kann eine demokratischer Staat dessen Wille zumindest theoretisch mit dem Willen des Volkes gleichzusetzen, auf alle Fälle aber niemals auf nur einen Willen (aufgrund der unterschiedlichen Fraktionen, der Aufteilung in Länder, etc.) reduziert werden kann überhaupt den Willen aufbringen um sich dieser Methoden (die allesamt sowieso älter sind als das was man als Staat versteht) bedienen?

s. o.

>Substanzlose Schwarzmalerei, was wird hier als Gegenentwurf postuliert? Die Freiheit nach belieben zu töten, zu plündern oder ohne irgendwelche Fähigkeiten einen Top-Manager Job zu bekommen?

Naja, es handelt sich hier um eine gesellschaftliche Analyse, nicht mal um eine Kritik. Ich habe das Buch nicht so verstanden, als wenn eine Wertung vorgenommen werden sollte. Es ist eben eine Beschreibung von gesellschaftlichen Funktionsweisen und Zuständen. Man muss nicht immer einen konstruktiven Gegenentwurf parat haben.

>Und was würde das bedeuten, doch lediglich die Videospiel-Freiheit a la Morrowind. Das ganze ließt sich so als hätte der Staat Abschlusszeugnisse und Vorstellungsgespräche aus dem Willen heraus geschaffen seine Bevölkerung besser zu kontrollieren, und das hört sich dann ungefähr so kindisch an wie die Phantasterei in Matrix.

Ich denke eher, diese haben sich innerhalb des genannten sozialdarwinistischen Prozesses herausgebildet, da wird es schwer einzelne verantwortlich zu machen. Davon abgesehen bist du Teil dieses Unterdrückungsapparates. DU DU DU! Ich sagte ja, die Antwort würde dich überraschen. :)

>>Foucault beschreibt die Gesellschaft als ein Gebilde, das von kleinsten Machtlinien durchsetzt ist und in der alle Individuen ständig von Machtmechanismen besetzt werden. Macht soll dabei als etwas Vielgestaltiges, Vielschichtiges, Ungreifbares verstanden werden, das Menschen nicht besitzen, sondern höchstens in begrenztem Maße von strategischen Positionen aus steuern können.
>
>Oho, George Lucas hatte Focault gelesen.


Ich habe das so verstanden, dass die Bindung von Macht und Individuum nicht permanent ist, sondern Macht eine gesellschaftliche Position darstellt, die prinzipiell jeder besetzen kann, z. B. als Politiker, Polizist, etc. aber auch als Lehrer, GEZ Eintreiber oder Leserbriefeschreiber.
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