D@niel  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 13.12.2006 15:45 Uhr
Thema: H. P. Lovecraft - Der Fall Charles Dexter Ward Antwort auf: Bücher und Lesestoff Thread part 2 von Michael K.
Nachdem ich vor nicht allzu langer Zeit über eine Kurzgeschichtensammlung an Lovecraft herangewagt habe, las ich jetzt "Der Fall Charles Dexter Ward", weil das eine der besseren Geschichten von ihm sein soll.
Ein verschrobener, aber hoch begabter jugendlicher Sonderling stellt private historische Nachforschungen an. Als er eines Tages auf einen Vorfahren stößt, der vor mehr als 100 Jahren lebte und aufgrund seiner obskuren Forschungen höchst verrufen war, geht er der Sache nach. Dabei entdeckt er etwas derart Erschreckendes, das ihm letztendlich den Verstand raubt und ins Irrenhaus bringt. Daraus verschwindet er spurlos.
Die Geschichte erzählt die Nachforschungen des Hausarztes der Familie, Dr. Willet, und wie er den Verfall des jungen Charles erlebt hat.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum mir die Geschichte gefallen hat. Lovecrafts Erzählweise wirkt manchmal naiv und bemüht. Die Geschichte an sich ist leicht zu durchschauen und man bekommt beizeiten mit, worauf es hinausläuft. Auch mit der Thematik kann man heute wohl keinen mehr erschrecken. Aber vielleicht war das
vor 80 Jahren in der einzigen Gegend der USA, die je Hexenprozesse erlebt hat, noch anders. Dennoch schafft er es, eine Spannung aufzubauen und die permanent zu halten. Ich kann nicht erklären, wie er das erreicht, aber ich wollte das Buch manchmal nicht weglegen. Vielleicht liegt es daran, dass einige Dinge nur angedeutet werden und auch bleiben. So wird der Leser immer wieder mit Teilen der Geschichte konfrontiert, die abgebrochen werden (weil die entsprechenden Zeugen nicht darüber sprachen) oder nur beiläufig erwähnt und nicht wieder aufgegriffen werden. Die Fortführung dieser Dinge findet dann im Hirn statt. Vielleicht ist es aber auch die morbide Welt, die Lovecraft in allen seinen Geschichten schafft, die den Fall Charles Dexter Ward interessant macht.
Ich kann nicht beurteilen, ob Lovecraft, wie es oft behauptet wird, tatsächlich Poe ebenbürtig ist, aber die Geschichte kann ich empfehlen. Man muss sich auf Lovecrafts Stil einlassen, dann hat man Spaß mit seinen Büchern. Ich werde mir wohl als nächstes "Schatten über Innsmouth" zu Gemüte führen. Für Empfehlungen für weiteren blasphemischen und abscheulichen Lesestoff bin ich übrigens dankbar.

D@niel
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