Sascha  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 07.06.2012 20:50 Uhr
Thema: Archivnachtrag, 07.06.2012 Antwort auf: Archiveintrag, 07.06.2012 von Sascha

In meinen Tagträumen gibt es Jimmy immer noch und da wird es auch meine Oma geben. Mehr als
meine Tagträume habe ich eigentlich auch nicht. Hund tot, Oma tot. Ich bin jetzt aber das
allererste mal Frei in meinem Leben. Ich habe jetzt keinerlei soziale Verpflichtungen mehr
und eigentlich ist es jetzt auch Sinn- und Zwecklos. Ich habe so sehr gehofft, dass ich vor
ihr gehe.

Sie ist heute morgen gegen 02.00 Uhr eingeschlafen, was angesichts der Diagnose wohl im
Nachhinein auch das beste war - so weh das tut, sowas zu sagen. Die Lungenfibrose, die all-
mäliche Bildung von Bindegewebe in den Lungenbläschen, wäre auf keinen Fall besser geworden.
Man hätte vielleicht mit Medikamenten eine Linderung erreichen können und vielleicht hätte
sie unter Umständen noch mal nach Hause gekonnt um einigermaßen Schmerzfrei zu leben aber
dann wäre halt in drei oder sechs Monaten oder in einem Jahr unter viel schlimmeren Umständen
das Ende gekommen. Auf der Intensiv-Station war sie nicht, sie wollte keine Lebensverlängernden
Maßnahmen.

Ich habe insgeheim immer gehofft, dass wenn sie geht, das im Krankenhaus tut. So dass man da
zum einen wohl besser drauf vorbereitet ist und zum anderen die Situation umgehen kann, sie
eines Tages zu Hause zu finden, nachdem ich hingefahren bin, weil sie vielleicht nicht ans
Telefon gegangen ist.

Als ich klein war, haben wir nur ein paar Straßen weiter gewohnt, da habe ich am Wochenende
oft bei ihr übernachten. Sie hat damals schon in der Wohnung gewohnt. Ich glaube, das sind
über 30 Jahre gewesen. Als ich etwas Älter war, sind wir Sonntags mit dem Bus immer zum
Theodor-Heuss-Platz gefahren und in eine Pizzeria gegangen. Bis wir dann umgezogen sind. Nicht
weit(er) weg, aber so, dass sich das irgendwie verlaufen hat. Als wir 1994 raus aus Berlin
gezogen sind, war's generell mit der Mittagsverpflegung erst einmal vorbei. Ich bin aber in
Berlin weiter zur Schule gegangen. Wir haben uns dann noch Ewigkeiten jeden Tag im Karstadt-
Restaurant in der Fußgängerzone getroffen und die Zeit totgeschlagen. Dazwischen und danach
kamen noch zwei fiese Hüftbrüche. Anfangs konnte sie mit Krücke noch alleine runter gehen, zum
Frisör, zur Ärztin oder zum Bank sitzen auf die Schloss-Promenade. Das wurde dann aber auch
weniger, als das mit dem Treppensteigen kaum noch ging. Aber die Ärztin hatte ihre Praxis
gleich nebenan und kam dann vorbei und die Frisörin hat sie einmal die Woche abgeholt und auch
wieder gebracht. Als sie vor drei Jahren so schlimme Rückenschmerzen hatte, bin ich einmal
zusätzlich die Woche zu ihr gefahren um den Vogel sauber zu machen und ein wenig aufzuräumen
und zu Saugen. 1 1/2 Stunden mit Bahn und Bus hin und auch wieder 1 1/2 Stunden zurück. Hat
mich nicht gestört. Ansonsten immer, wenn nichts weiter anlag, einmal die Woche, meistens mit
Muttern Samstag oder Sonntags dagewesen und Lebensmittel vorbeigebracht und saubergemacht und
minimum drei mal die Woche Telefoniert. Montags, Mittwochs, Freitags. Hat auch nicht wenig
Medikamente bekommen und ab und an auch mal ein Wehwehchen gehabt, aber das ging eigentlich.
Musste gehen.

Im Winter hat sie oft Abends noch mal angerufen um zu sagen, dass der Wetterbericht Schnee oder
Schneeregen angekündigt hat und ich vorsichtig fahren soll. Sie hat mir bis zum heutigen Tage
Taschengeld gezahlt. Ich habe vor Jahren mal versucht, das zu beenden, da war sie so einge-
schnappt und stinkig, dass ich auf dem Weg zum Auto angerufen habe um zu sagen, dass das nur
ein Scherz war, da war sie dann wieder erleichtert. Sie hat alles für mich getan und ich war
oftmals so scheiße zu ihr.

Das was jetzt passiert ist, ist furchtbar und schlimm, aber es hätte auch noch viel, viel
schlimmer kommen können. Ich kann mir gar nicht vorstellen, nicht mehr mit ihr am Telefon zu
reden und eigentlich brauche ich jetzt auch keins mehr. Ich wollte Mittwoch noch hin. Wir
hatten Abends nur telefoniert. Sie wird eingeäschert und hier in der Nähe in einem Anonymen
Urnengrab beigesetzt. So wollte sie das.

Mir tun die Augen so weh und das ist alles so unwirklich.
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