D@niel  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 02.11.2006 18:20 Uhr
Thema: Sammelantwort auf die "Experten" unter mir Antwort auf: Re:mit meiner dreijährigen Nichte von Liyah
Ich denke mal, jeder da unter mir hat sich schon mind. einmal über undifferenzierte Berichterstattung über Gewalt in Videospielen aufgeregt. Aber exakt auf dem argumentativen Niveau bewegt Ihr Euch. Sorry, aber ich habe selten soviel Schwachsinn zum Thema ADS/ADHS gelesen. Ich bin zwar selber kein Experte, kann aber mit meinem wenigen Wissen darüber sicher eine etwas differenziertere Sicht auf das Thema bieten.
ADS/ADHS ist keine Erfindung des letzten Jahrzehnts. Es hat vorher schlicht keinen interessiert, ob diese Kinder unter einer Störung leiden. Es hieß einfach, sie wären ungezogen, unaufmerksam oder blöd. Die Symptome für ADHS sind keinesfalls nur mit "ein bisschen Zappeligkeit" erklärt. Es kommen zu der erwähnten
- motorischen Unruhe noch
- Konzentrationsschwächen und damit verbundene geringere Lernfähigkeit,
- eine geringe Frustschwelle und damit verbundene geringe Ausdauer,
- Wutausbrüche auch bei kleineren Anlässen,
- Distanzlosigkeit ggü. fremden Erwachsenen,
- Missachtung von Authorität,
- Nichtbefolgen von Anweisungen (oder erst bei mehrmaligen Wiederholen),
- erhöhte Gewaltbereitschaft
und sicher noch ein paar andere Sachen, die mir grad nicht einfallen. Es müssen auch nicht alle Symptome auftreten. Die Diagnose ADHS stellen auch keinesfalls die Eltern, wie hier einige suggerieren. Es werden recht umfangreiche Untersuchungen und Gespräche durchgeführt, wenn Eltern, Erzieher, Lehrer oder Ärzte den Verdacht darauf haben und die Eltern es untersuchen lassen. Es ist also auch nicht so, dass man mal schnell die vergessene Erziehung auf ADHS schieben kann. Glauben scheinbar auch einige hier. Und ist die Diagnose gestellt, dann ist ein guter Arzt auch nicht so schnell mit Metylphenidat-Präperaten (Ritalin etc.) bei der Sache. Es gibt Ergotherapie und Seminare für Eltern. Ritalin ist dann meist der Notanker, wenn z.B. schulische Leistungen aufgrund der Konzentrationsschwächen leiden. Ob die Gabe von Ritalin nun gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass eine Ursache eine Störung bei der Ausschüttung eines Neurotransmitters im Hirn ist. Dort setzt es wohl an und hilft auch in vielen Fällen. Es ist ein Psychopharmakon, wirkt aber wohl nicht dämpfend. Ob man nun bereit ist, seinem Kind so etwas zu verabreichen, sollte man sich genau überlegen. Auf der Haben-Seite stehen dabei auf alle Fälle die verbesserte Konzentration und damit verbundene verbesserte schulische Leistungen. Und was ein guter Schulabschluss heute bedeutet, brauche ich ja wohl nicht zu erklären.
Die Ursache von ADHS ist so weit ich weiß multifaktoriell. D.h., die Stoffwechselstörung allein sorgt noch nicht dafür, dass ein Kind ADHS hat. Es kommen noch andere Faktoren dazu. So ganz genau ist das AFAIK auch noch nicht erforscht. Auch wenn das Abparken vor dem Fernseher ein Faktor sein kann, so ist es nicht die Hauptursache. Sicher ist es so, dass Erziehungsmängel die Störung fördern oder zumindest die Symptome verschlimmern. Wer schon einmal länger mit so einem Kind zu tun hatte, der  klopft aber nicht mehr derlei Sprüche wie meine Vorredner. Man bekommt von Psychologen oder Ergotherapeuthen in der Regel folgenden Tip mit: Die Kinder brauchen Regeln und man muss in seiner Erziehung konsequent handeln. Konsequenzen sollten sofort folgen und im Zusammenhang mit der "Tat" stehen. Also im Grunde nichts anderes, als man mit "normalen" Kindern auch macht. Nur darf man nicht dem Irrglauben unterliegen, eine konsequente Erziehung beseitigt die Probleme. Sie lindert allenfalls die Symptome. So ein Kind wird aber immer schwerer zu erziehen sein, als ein Nicht-ADHS-Kind. Die Störung selber bleibt und kann das Kind bis ins Erwachsenenalter behindern. Manche lernen mit zunehmendem Alter auch, besser mit der Störung umzugehen.
Und zum Thema "Alkoholismus der Eltern": Hier wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich glaube kaum, dass alkoholabhängige Eltern der Sache überhaupt so weit nachgehen, dass es zur Verabreichung von Ritalin kommt.
Was ich sagen will: Es ist einfach, ADHS als Modekrankheit oder einen Popanz, mit dem eine Schar Ärzte, Psychologen, Logopäden, Ergotherapeuthen und Pharmakologen Geld verdient, abzutun. Die Wahrheit ist wie so oft um einiges komplexer. Genauso wie Gewalt in Videospielen nun auch nicht per se gewalttätig macht.

D@niel
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