a gentle breeze  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 08.07.2023 21:40 Uhr
Thema: Post Amerika Antwort auf: Death Stranding - #madformads von Felix Deutschland
(Spoiler)

In einer düsteren Zukunft lässt dich der herabfallende Regen altern, während du vor den Geistern der Vergangenheit davonläuft, um einem Unbekannten Spielzeugfiguren zu bringen, oder wichtige Medikamente, oder Leichen. Ist das Death Stranding? Vor der Veröffentlichung von Hideo Kojimas neuestem Werk wurde viel spekuliert, worum es sich bei seinem neuesten Werk handeln könnte, außer einigen kryptischen Szenen und einem melancholischem Soundtrack aber war man nach dem Betrachten der ersten Trailer auch nicht viel schlauer.

Das zukünftige Amerika nach der Apokalypse. Nach dem Zusammenbruch der Zivilisation durchstreift der Spieler in der Rolle des Protagonisten Sam Porter Bridges, dargestellt von Schauspieler Norman Reedus, ein verwüstetes Land. Nach einer mysteriöser Katastrophe wurde der Großteil der Menschheit ausgelöscht und neuartige Umweltveränderungen wie ein "Zeitregen", der alles Leben rapide altern lässt, machen es den wenigen Überlebenden schwer, so dass sich diese vereinzelten "Prepper" in ihren Wohncontainern verstecken. Die Geister der Toten stellen eine zusätzliche Bedrohung dar und dann wären da noch die sogenannten "Porter", die Plünderern gleich den wenigen wertvollen Gegenständen nachjagen und so den Wiederaufbau erschweren.

Titelfigur Sam ist also ein Kurier mit der Aufgabe den wenigen versprengten Menschen mehr oder weniger wichtige Dinge zu liefern, die diese angefordert haben. Dabei bekommt er diese fast nie persönlich zu Gesicht, sondern sieht immer nur deren Hologramme, wenn er ihre Pakete in deren "Hausflur" abstellt. Kojima weiß, was bei Gamern Glückshormone ausschüttet und lässt die Empfänger sich herzlich bedanken, so dass man fast so etwas wie eine Verbindung zu ihnen aufbaut. Dieser Dank, bzw. die Bezahlung besteht aus (eigentlich nutzlosen) "Likes", was man auch als einen ironischen Seitenhieb auf unsere von Social-Media dominierte Welt verstehen kann. Nach und nach verbessert sich so das gegenseitige Verhältnis zueinander, so dass ein erfreuter Mechaniker z. B. ein Exoskelett zur Verfügung stellt, oder ein Büchsenmacher weitere Waffen. Angeblich hat das Ausbleiben von Lieferungen auch Auswirkungen auf das Spielgeschehen: Ein alter Mann z. B. stirbt angeblich, wenn er langfristig keine Medikamente bekommt. Das kann ich aber nicht bestätigen. (Ereignisse wie diese hätten die Welt aber interessanter und dynamischer gemacht.)

Spielerisch bestehen die Aufträge damit ausschließlich aus Fetch-Quests, bei denen man ein Paket an einen bestimmten Ort trägt. Das ist das ganze Spiel, welches man auch als einen Walking-Simulator Deluxe bezeichnen könnte. Weil das aber so viel zu einfach wäre, wird geradezu eine Wissenschaft daraus gemacht: Man trifft auf drei Ebenen Entscheidungen, welche den eigenen Erfolg bestimmen: Strategisch wird die Route geplant, welche möglichst effizient möglichst viele Pakete bei den Figuren abliefert, zu denen man sein Verhältnis noch verbessern will. Mittelbar managt man die eigenen Ressourcen wie Munition, Fahrzeuge, Batteriestatus, Blutreserven (quasi Energie), Schuhwerk, etc. und unmittelbar schlägt man sich mit der zerklüfteten Landschaft und ihren Gefahren herum. Sam, der i. d. R. mit einem geradezu lächerlich hohen Turm aus Containern beladen ist, droht nämlich bei zu schnellem Lauf das Gleichgewicht zu verlieren, weshalb er immer wieder die Geschwindigkeit drosseln oder seinen taumelnden Bewegungen gegensteuern muss. Ob er wohl in Zukunft Knieprobleme bekommt?

Auch die Art und Weise, wie die Pakete auf dem Rücken verteilt sind, wirkt sich auf die eigene Standhaftigkeit aus. Selbst der Wind soll auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad eine Rolle spielen. Wer hier ungeduldig wird und blind voraus prescht, stolpert schnell und beschädigt oder zerstört die kostbare Ladung, was ihn das Wohlwollen der Klienten kostet. Damit zwingt einen das Spiel zu einem bedachtsamen Vorgehen, was mir zunächst gar nicht gepasst hat. Wer als Spieler aufregende Actionsequenzen und Feuergefechte gewohnt ist, wird hier zur Geduld erzogen. Ich selbst bin teils nur dabei geblieben, weil es schade um die bereits in das Spiel investierte Zeit gewesen wäre und ich die nächste verrückte Idee und das nächste originelle Design kennen lernen wollte. Aber auch so habe ich zwei Anläufe für Death Stranding gebraucht. Irgendwann habe ich schließlich das gemächliche Pacing akzeptiert und mich von Kojima entschleunigen lassen. Man wird belohnt: Im Laufe der Zeit kommen immer mehr Möglichkeiten dazu Pakete zu transportieren und wer endlich mit der Turbo-Seilbahn über die Map fliegt, oder die Ressourcen-fressende Straße gebaut hat, bekommt auch das Gefühl, der Landschaft, dem größten Feind im Spiel, endlich Herr geworden zu sein. Nicht nur hier erinnert das Spiel an Kojimas letzten großen Titel, "MGS5 The Phantom Pain", bei dem ebenfalls immer mehr verspielte Lösungen für ein doch recht begrenztes Aufgabenspektrum hinzukamen. Leider musste ich schnell feststellen, dass der "saure" Regen auch die neu geschaffene Infrastruktur altern lässt, was aufwendige Instanthaltung erfordert, will man sie nicht wieder verlieren. Eine frustrierende Erkenntnis.

Als fleißiger Paketbote wird man immerhin mit einer für den eigenwilligen Entwickler typisch verrückten Story und schrägen Figuren belohnt. Da streift man am Strand der Sterbenden umher, taucht ins Meer der Metaphern, um dann in tiefenpsychologischen Traumsequenzen die Schlachten vergangener Kriege zu erleben. So wird die Geschichte des Spiels mit ihrer einfachen, menschlichen Aussage überkompliziert und mit einem ständigen Augenzwinkern erzählt, was aber auch seinen Reiz hat. Der gute Sam muss nämlich seine anämische Halbschwester Amelie, retten, welche als neue Präsidentin der USA den Leuten wieder Mut machen soll. Wie die gute Frau, die immer nur besorgt guckt das bwerkstelligen soll, bleibt ihr Geheimnis. Zudem gibt es u. a. noch eine Art Dr. Frankenstein, der für den einen oder anderen Lacher sorgt und Darren Jacobs (exzellenter Sprecher!), der einem hanbüchenen Unsinn über die Nabelschnüre von Dinosauriern erzählt, aber dabei so überzeugend auftritt, dass man es ihm abnimmt. Das Ende der Geschichte zieht sich dann mit spielbaren Sequenzen über mehrere Stunden lang hin. (leider gibt es wohl keine unterschiedlichen Enden). Hier schaltet man irgendwann ab, denn Kojima kommt wie ein Columbo (kennt den noch wer?) immer wieder mit einer neuen Frage an die eigene Story zurück, die alles in neuem Licht erscheinen lässt: War dies wirklich der Bösewicht, war er wirklich böse, gibt es nicht doch noch andere Drahtzieher, und handelten diese tatsächlich nur zu ihrem eigenen Wohle, oder muss man nicht Verständnis dafür haben, und ist dies wirklich so passiert? Die Story präsentiert sich damit nicht als zusammenhängender Faden, sondern als Folge von überraschenden Wendungen um ihrer selbst willen. Man muss sich darauf einlassen, denn Kojima ist eh stärker als die eigene Vernunft, mit der man dagegenhält und irgendwann erfreut man sich schlicht an den bunten Bildern, ohne sie weiter zu hinterfragen. Dennoch besteht die größte Stärke von Death Stranding meiner Meinung nach darin, dass spielerisch wie erzählerisch ungewöhnliche Elemente verwendet werden, die aber im Kontext der Spielwelt sinnvoll sind und ein kohärentes Ganzes ergeben. So trägt Sam ein Baby mit sich herum, das ihn vor Geistern warnt. Dieses hält wohl auch den Spieler davon ab, Sam allzu rücksichtslos zu behandeln, denn wer will schon minutenlanges Babygeschrei ertragen, weil der Spieleheld von einer Brücke gesprungen ist, um etwas Zeit zu sparen? Die Tatsache, dass Sams Körperflüssigkeiten und Abfallprodukte in Munition und Granaten umgewandelt werden, ist nebenbei erwähnt auch so eine Sache, die nur Kojima in einem "ernsthaften" Spiel verwenden könnte.

Diese merkwürdige Kohärenz erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre, die dem Spiel in vielerlei Hinsicht zugute kommt. Die Begegnungen mit den Geistern, im Spiel BTs (Beached Things) genannt, kündigen sich z. B. durch schlechtes Wetter und merkwürdige Himmelserscheinungen an, die durch ihr bloßes Vorhandensein bereits für Besorgnis sorgen. Ist ein Umgehen dieser Stelle nicht möglich, kann Sam auf Knopfdruck auch den Atem anhalten, um nicht von den "Gazern" erkannt zu werden. Sams kleiner Begleitern BB ("Baby") wirkt dabei wie ein Sensor, der die Richtung des nächsten BTs angibt. Werden diese trotzdem auf einen aufmerksam, öffnet sich eine Art Teergrube mit Geistern, welche den Spieler hineinzuziehen versuchen. Ein ganzer Landstrich kann so vom schwarzen Wasser verschluckt werden, was durchaus beeindruckend wirkt. Dadurch, dass man bemüht ist, den schemenhaften BTs auszuweichen und sie nicht anzusehen, fällt kaum auf, dass es quasi nur diese eine Art von Geist gibt. Als futuristisches Horrorspiel funktioniert Death Stranding damit sehr gut! Dabei fürchtete ich als Spieler hier wie auch auf gefährlichem Terrain vornehmlich um die verlorene Zeit -- das Spiel ist eine einzige sunk cost fallacy.

So weit so gut. Mein größter Kritikpunkt besteht darin, dass der Autor bei aller Ideenvielfalt bedauerlicherweise die Attraktivität des Core-Gameplays bei Weitem überschätzt, welches wie schon gesagt im Großen und Ganzen im Absolvieren von Fetch-Quests besteht. In dieser Hinsicht lässt es sich wieder mit "MGS 5 Phantom Pain" vergleichen, das auch ein äußerst ambitionniertes Spiel war, welches trotz vieler einfallsreichen Ideen einfach zu viele spielerische "Lücken" und Wiederholungen aufwies, als das es die selbstgesteckten hohen Erwartungen ganz hätte erfüllen können. Wenn dann noch von feindlichen Portern gesprochen wird, denen die Paketbeförderung zur Sucht wurde, war das vielleicht Wunschdenken des Entwicklers (oder eine subtile Beleidigung seinerseits), denn ich kann diesen Gedanken nicht nachvollziehen. Während der Missionen gibt es abgesehen von den zwei Gegnerarten (Portern und Geistern) keine Überraschungen, keine Begegnungen mit NPCs, keine Tiere, die einen etwas ablenken, dabei wird zu Beginn des Spiels der Effekt des Zeitregens an einem Reh demonstriert. Schien mir bei Horizon Zero Dawn die Welt schon ein wenig leer, während dort noch Wildtiere und Zufallsbegegnungen zu finden waren, bietet Death Stranding abgesehen von zwei freundlichen, aber stummen Portern im späteren Spiel nichts in Sachen NPCs. Gar nichts. Und das ist zu wenig und auch nicht mit der Story entschuldbar. Sorry, aber das war mir bei Weitem zu trist.

Bis man die langen Tutorial-Einblendungen hinter sich und die Spielmechanik verstanden hat, können gut und gerne zehn Stunden vergehen. Bis dahin dürfte der geneigte Spieler einige sehr frustrierende Erfahrungen hinter sich haben, wie minutenlang hilflos in einem reißenden Fluss zu treiben, während die wertvollen Pakete davonschwimmen. Statt diese mühselig dem Gewässer wieder zu entreißen, habe ich das Spiel in einem solchen Fall durchaus auch mal ausgemacht und die Mission nach einem Neustart erneut begonnen. Und dann wäre da noch der unnötige Minimalismus: Man kann sich nicht ohne weiteres nach dem Kompass orientieren, weil dieser sich erst nach einem Knopfdruck zeigt. Etwas umständlich und sehr schade, da ich wenigstens gern nach Kompass gelaufen wäre. Ein späteres Upgrade von Sams Möglichkeiten behebt dieses Problem dann aber. Zu allem Überfluss sind die futuristischen Menüs, vor allem wenn es um das Herstellen und Beladen geht, unnötig umständlich, aber vielleicht ging es da nur mir so. Noch nicht genannt wurde eine Art anonymer Mehrspielermodus, bei dem andere Spieler (mit denen man aber eigentlich nicht direkt zusammenkommt) ganz im Sinne der Spielethematik Verbindungen herzustellen Ressourcen und Strukturen zur Verfügung stellen, oder (Warn)schilder aufstellen können. Erstere sind hochwillkommen, letzteres eher unnötig, denn dies führt nur zu einem Schilderwald vor jeder Raststätte, deren nervigen Jingles man nicht entkommen kann.

Wohl um den Spieler noch mehr zu fordern, versucht sich Sam im letzten Viertel des Spiels schließlich als Bergsteiger. Oben auf der Alm finden sich ebenfalls Geister, unterstützende Strukturen und verlorene Pakete (von wem?), was aber so deplatziert wirkt, dass man glauben könnte, man teste nur die Engine auf einer zufälligen Map. Beim mühseligen Erklimmen der Berge wird die eigene Geduld auf die bisher höchste Probe gestellt, denn verlässt Sam die Ausdauer, rutscht er ab und verliert wie so oft die wertvolle Fracht. Hier will jeder Schritt wohlüberlegt sein. Graphisch sind währenddessen oftmals minutenlang nur Felsen zu sehen. Diesen langweiligen und enervierenden Teil empfand ich stellenweise als Zumutung.

Death Stranding wurde sehr gut bewertet (86 Metascore für Reviews; 7,8 bei der Spielerschaft) und hat sich ordentlich verkauft (10 Millionen Exemplare), dennoch polarisiert der Titel. Ich selbst schätze die gebotenen Qualitäten und originellen Einfälle wie auch die einzigartige Perspektive des Designers. So hat der gute Sam zwar die raue Stimme eines typischen Helden, ist aber mit seiner Angst vor Nähe und der zurückhaltenden Art kein Held, der klassischen "männlichen" Tugenden. Da darüber hinaus der Tod eines Menschen in dieser Welt eine gefährliche Explosion auslösen kann, sollte dies tunlichst vermieden werden. Erfreulicherweise ist es ohne weiteres möglich das Spiel ohne den Verlust eines Menschenlebens zu beenden. Alle diese Elemente tragen eine Botschaft der Menschlichkeit und so wie Sam die vereinzelten Individuen miteinander verbindet, fügt sich langsam auch eine zersplitterte Gesellschaft wieder zusammen. Wem das 40-80 Stunden nerviges Pakete-Schleppen wert ist, sollte sich bei seinem nächsten Verteiler-Zentrum melden.
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