a gentle breeze  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 15.04.2023 20:55 Uhr
Thema: Re:Was mögt ihr an "Retro"gaming? Antwort auf: Was mögt ihr an "Retro"gaming? von PUH
>Aber warum mögt ihr das überhaupt, falls ich nicht der einzige hier bin?
>Nostalgie? (Aber zockt ihr dann die Sachen von früher?) Sind die Spiele irgendwie anders? Vermisst ihr was bei den neuen, oder nerven die alten, weil ihr da was vermisst (Open world, Grafik, Style...)?


Naja, wir haben quasi die Geburt, zumindest die Popularisierung eines neuen Unterhaltungsmediums miterlebt und das kommt in der Geschichte der Menschheit nicht häufig vor. Mich sprechen alte Spiele aus verschiedenen Gründen an. Einer davon ist der, dass man noch besser nachvollziehen kann, wie das Spiel entstand: In den Achtzigern habe ich wie so viele mit Computern experimentiert und zumindest mit Basic gespielt, "Bilder" mit dem damaligen ASCI/PETSCII Code gemalt oder lange Listings abgetippt. Auch wenn ich nicht bis zur Maschinensprache vorgedrungen bin, habe ich eine vage Ahnung, wie einfache Spiele intern ablaufen und woraus sie bestehen.

In dieser Hinsicht ist es ist irgendwie befriedigend zu sehen, wie jemand, der das besser beherrscht, es schafft aus dem Zusammenspiel von attraktiven Graphiken, Musik und Spielmechanik ein unterhaltsames Spielerlebnis zu kreieren. Meist sind diese einzelnen Elemente übersichtlich und überschaubar. Im Gegensatz dazu nehme man mal ein Civilisation 6 oder auch nur ein beliebiges Open World Spiel, wo es unendlich mehr Spielelemente und Variablen gibt, die man einzeln kaum noch auseinanderhalten kann. Weniger Komplexität kann auch mehr Übersicht bedeuten.

Zudem ist es irgendwie angenehm sich in diese "Goldgräberzeit" zurückzuversetzen, in dem ein Enthusiast in seinem Keller mit 'nem Kumpel den nächsten Spielehit schreiben konnte. Das versuchen auch heute noch viele, es ist aber seltener geworden (Minecraft). Auch ist diese Epoche in anderer Hinsicht interessant: Es gab mehr Experimente, mehr Systeme, mehr Versuch und Irrtum (gut, wesentlich mehr Irrtum). Es war noch keine so professionelle Industrie wie heute und irgendwie habe ich zu dieser Zeit einen gewissen Bezug. Inhaltlich spricht mich die Spielelandschaft auch mehr an, vielleicht auch gerade weil man damals weniger reflektiert war als heute. Einigen modernen Spielen mit einem Übermaß an Ironie kann ich wenig abgewinnen. So hat der Shopkeeper in "The Messenger" z. B. für etwas Unmut in einem ansonsten sehr guten Spiel gesorgt. Figuren in Computerspielen dürfen für mich auch mal etwas flacher sein: Der weise Zauberer, grimmige Barbar, fiese Schurke sind hier Symbole des Guten und Bösen, die mir reichen. Damals gab es auch noch eher diesen sense of wonder, wenn auch nur, weil man die Pixelhaufen mitttels der eigenen Fantasie ergänzt hat, angeregt vielleicht durch das Cover auf der Verpackung. Dardurch spielt sich die Handlung auch zu einem gewissen Grad in der eigenen Vorstellung ab, was dem ganzen einen persönlichen und vielleiceht mythischen Charakter gab. Das ist schwer in Worte zu fassen und vielleicht habe ich da jetzt etwas zu weit ausgeholt.

Dann wäre da noch die technische Seite, bei der man den Entwicklern Respekt zollen muss für das Ausnutzen der alten Kisten, gerade wenn man die ebenfalls noch etwas durchschaut. Nicht zu vergessen sind "Pixel Art" und "Chiptune Music" (oder wie auch immer die aktuelle Bezeichnung lautet) aus der Not geborene Darstellungs- und Musikformen, die mittlerweile als feste künstlerische Genres etabliert sind. Dabei war gute Pixelart damals das non-Plusultra, heute greift man teilweise deshalb darauf zurück, weil so die Entwicklungskosten klein gehalten werden können (enttäuschendes Beispiel: Penny Arcade Adventures: On the Rain-Slick Precipice of Darkness"). Das was westl. und v. a. jap. Entwickler in dieser Hinsicht vorgelegt haben, ist auch heute nicht ohne weiteres so leicht zu erreichen. Der gängige generische "Smartphone" Stil oder die "bröckeligen" Graphiken von Hyper Light Drifter und Superbrothers: Sword and Sworcery kommen da bei weiten nicht ran.

Man fühlt sich bei den alten Kamellen markttechnisch auch nicht als wohlplatziertes Teil eines Konsumgefüges, in dem man noch DLC kaufen, Screenshots sharen und Abos erwerben darf und soll, sondern ist einfach ein Typ, der eine Runde spielt, ohne dass die Spielzeit an irgendeinen Server weitergeleitet wird. Einige Spielideen sind meiner Meinung nach dazu früh schon vervollkommt worden. Die Idee und Umsetzung von Summer/California Games kann ich mir besser kaum vorstellen. Bruce Lee für den C64 ist superbe Reduktion auf das Wesentliche und ich spiele es alle paar Jahre gern wieder durch. Während ich Super Street Fighter 2 Turbo (schon retro) noch vollkommen durchschaue, kann ich gerade noch abschätzen, dass man mit einer Erklärung der Spielmechanik des neuesten Guilty Gear Titels ein Buch füllen könnte. In dieser Hinsicht sind viele moderne Spiele schon zu spezialisiert um den Anforderungen der Fans zu genügen. Gunship oder GS2k habe ich noch gern gespielt, aber einen modernen Simulator könnte ich nicht mehr überblicken und hätte auch keinen Spaß mehr daran.

>Was ist mit neuen Spielen für alte Systeme. Interessant?

Leider bin ich da ein doofer Snob, der diesen Titeln i. d. R. die Anerkennung verwehrt, die sie durchaus verdienen. Aber zum einen gefällt es mir nicht, wenn z. B. der Graphikstil "modern" gehalten ist und z. B. pre-rendered Sprites oder digitalisierte Graphiken bei einer begrenzten Farbpalette nicht funktionieren und handgezeichnet hätten werden müssen. Oder man zeigt eine großartig animierte Spielfigur und hat dann keinen Speicher mehr für andere Sachen auf dem alten Gerät. Ooder man möchte unbedingt eine Spielmechanik umsetzen (3d oder Doom auf 8Bit), welche die Kiste kaum schafft, oooder der Designer kann keine ansprechenden Figuren zeichnen (Lykia - The Lost Island (sorry)). Einige der neueren Titel sind aber überraschend gut und gefallen mir auch, wie The Bear Essentials z. B.
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