strid3r  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 05.05.2019 14:10 Uhr
Thema: Re:Iconoclasts Antwort auf: Iconoclasts von Macher
>Eine Person hat sieben Jahre gebraucht, um das Spiel zu machen. Auf der einen Seite ist es kein Wunder, weil zu 8/16-bit Zeiten die Teams so um die 5-15 Leute waren und irgendwo zwischen ein und zwei Jahre für Spiele gebraucht haben, aber trotzdem hört es sich nicht so viel an wie es in der Realität ist, wieviel Arbeit auch ein "simples" Spiel wie das hier braucht, um realisiert zu werden.
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>Ich habe nicht viel zu meckern. Ich habe gehofft, dass das Spiel weniger linear ist. Und es ist seltsam, dass man ein-Block-hohe Verengungen betreten kann, wenn sie auf Bodenhöhe sind oder wenn sie auf 2-Block-Höhe sind aber nicht, wenn sie auf 1-Block-Höhe sind, weil man sich nicht an der Ecke hängen kann. Ich verstehe von der Code-Seite her, warum es so funktioniert, aber von der Spielerseite her betrachtet, ergibt das keinen Sinn.


Das ist Metroid Fusion-Logik und da der Entwickler recht offen kommuniziert hat, dass er sehr großer Metroid-Fan ist, überrascht es nicht, dass er auch solche Dinge übernommen hat. Ich war deshalb etwas erleichtert, dass das Spiel am Ende doch verhältnismäßig eigenständig war in seinen Gameplay-Elementen.

>Sonst ist es das ganze angenehm anzuschauen, Musik passt, die vielen Bosse sind interessant, das Level-Design und die Geschichte sind anspruchsvoll und haben ein Überraschungen parat. Es ist ein gutes Spiel.

Wo ist die Geschichte anspruchsvoll? Das Spiel hat, gemessen an den für die Handlung und Charakterentwicklung relevanten Informationen, die man durch Dialoge erhält, mindestens das Fünfache an Textmenge, die es haben dürfte und ist teilweise richtig beschissen und ohne erkennbaren Fokus - aber eben sehr selbstverliebt in die eigene quirkiness - geschrieben, was das Verständnis unnötig erschwert. Die Charaktere sagen unheimlich viel und der Großteil dessen ist oft komplett irrelevantes Gelaber, weil weder Emotionen begründet oder Motivationen klar vermittelt werden, die deren Handlungen nachvollziehbarer machen würden, noch die Charaktere wirklich reflektieren würden. Auch erfährt man beinahe nichts über die Historie der Beziehungen relevanter Charaktere, weshalb z. B. sowas wie der vermeintliche Zwiespalt vom Piratenmädchen emotional komplett verpufft, da man ihn schlicht nicht nachvollziehen kann. Stattdessen befindet sich fast jeder (bis auf einen eigentlich) in einem endlosem Loop der ständig gleichen Phrasen und Aussagen. Oft wirkt es so, als gäben die Charaktere nur ihre Charakter-Outline wider, was aber ebenfalls kaum zum Verständnis beiträgt. Es sind fast keinerlei Entwicklungen erkennbar und oft sind die Texte so geschrieben, als sprächen die Charaktere im Delirium und nicht so, als wollten sie sich einem anderen Menschen verständlich machen. Zudem hilft es nicht, dass die Hauptfigur ein stummer Avatar ist. Für diese Art der Einbindung in die Handlung eine völlig unpassende Entscheidung (die zusammen mit einer sehr fragwürdigen Designentscheidung in einem der… seltsamsten Ableben eines Videospielcharakters ever kulminiert) und dank der Dialogoptionen auch noch inkonsistent umgesetzt.
Schlechter geht es imo kaum und ich war zum Ende hin nur noch genervt von den im Übermaß vorhandenen und eben oft überflüssigen langen Cutscenes. Ich finde es befremdlich, wie oft bei dem Spiel von Charaktertiefe gesprochen wird, was offenbar so mancher ausschließlich an der Textmenge misst. Man kann nicht Kojima kritisieren und gleichzeitig das hier gut finden, nur weil es ein Retro-/Indiespiel ist.

Es ist auch angesichts des Endes offensichtlich, dass der Entwickler in der Darstellung des von ihm kreierten Universums und der Handlung kryptisch bleiben wollte und für gewöhnlich ist es eine gute Idee, Details eher der Phantasie des Spielers zu überlassen. Bei Iconoclasts aber wirkte es auf mich einfach nur bemüht kryptisch und inkompetent, denn gekonnt mysteriös. Dazu sind die behandelten Themen auch zu abgedroschener JRPG-Standard und Iconoclasts hebt sich nur darin ab, dass hier im Gegensatz zu diesen der emotionale pay-off fehlt. Eben dank obiger Probleme bzw. den wirren Charakteren, der in Folge vor allem auch blassen Widersacher und der eher hilflos wirkenden Bemühungen, durch vermeintliche Ambiguität nicht so plump zu sein.

Ich bin jedenfalls sehr froh, dass er ein wesentlich besserer Gamedesigner und Pixel Artist ist, als Writer. Die Grafik ist gut, gerade die Charakter-Sprites sind teilweise fantastisch animiert, auch wenn man dank der Textboxen die tollen Animationen oft übersieht. Das Design der Puzzles und Platforming-Segmente ist zum Großteil gelungen - auch wenn einigen Leuten die Dichte an Puzzles zu hoch und diesen zu monoton (gefühlt funktionieren 3/4 über die Granate) sein dürften -, das der Bosse immerhin solide und das Handling der Hauptfigur ist intuitiv und präzise, während man an nette Details wie den Homing-Effekt beim Stampfer gedacht hat. Die Musik taugt immerhin als Untermalung, ist imo aber nicht der Rede wert und war ein Aspekt, von dem ich eher enttäuscht war.
Was mir sonst noch einfällt:
Leider lässt das Spiel etwas das Metroid-typische Gefühl von Empowering zum Ende hin vermissen, da speziell bei den Soldaten der Fokus auf der Konter-Mechanik in meinen Augen zu groß ist, wodurch die Konfrontationen mit selbigen sich für Standardgegner durchgehend zu mühselig anfühlen (gerade wenn man zwei gleichzeitig bekämpfen muss) und sie dafür auch zu häufig eingesetzt werden. Genauso stellte sich das Leveldesign vor allem des Towers (für mich zumindest) als furchtbar unintuitiv dar, obwohl das Spiel viel linearer ist und mit kleinen Abschnitten arbeitet, als z. B. ein Super Metroid. Es sind solche Abschnitte, die einen die Qualität der alten Vorlagen noch einmal realisieren lassen. Auch manche Angriffsmuster gehen in den selbstverliebten Explosionseffekten etwas unter und bei bestimmten Gegnerkombinationen können unfaire Situationen entstehen. Insgesamt ist Iconoclasts aber sicherlich ein überdurchschnittliches Spiel und hat vor allem den meisten Metroidvanias voraus, dass es sowas wie Leveldesign, Platforming, gegnerische Angriffsmuster und richtige Puzzles überhaupt gibt und nicht all diese Dinge schlechten RPG-Elementen opfert.

***Diese Nachricht wurde von strid3r am 09.05.2019 15:25 bearbeitet.***
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