Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 05.02.2019 20:52 Uhr
Thema: Kingdom Farts 3 - Oh Gawrsh!
Hier ein weiterer Thread, der an der 1-Antwort-Grenze knabbern darf, weil keiner kehrt. Warum kehrt keiner? "KEINE DEUTSCHE SYNCHRO, VORBESTELLUNG STORNIERT!" Ach weh. Aber verständlich. Eine derart mit Nostalgie durchsetzte Franchise provoziert halt Unwillen, wenn der Fanservice nicht mit der üblichen Obsession betrieben wird. Wobei es schlicht die Gegebenheiten moderner Videospieleproduktion ignoriert, welche bedingen, dass Square Enix irgendwann in zwei Jahrzehnten auch mal Geld einnehmen muss, und dazu muss Square Enix Spiele veröffentlichen, was Square Enix gewiss nicht leicht fällt seit ungefähr zwei Jahrzehnten. Früher gabs dann stattdessen anderthalb Jahre Wartezeit, während in Villariba (Japan) und Villabajo (USA) schon gezockt wird. Aber dann kann es auch der Nachwuchs spielen! Als wenn der Nachwuchs da Bock drauf hätte, das Sequel zu einem Spiel zu zocken das älter ist als besagter fremdsprachenunfähiger Nachwuchs, und dessen Story zumindest für Siebenjährige beim direkten Reingrätschen in den Verlauf zu durchdringen höchst unwahrscheinlich ist.

Warum ICH das Spiel spiele? Schwierig zu sagen. Ich hasse Disney, und zwar aus genau den Gründen, aus denen Kingdom Hearts existiert. Ich hasse crossmediales Erzählen, ich hasse es, Geschichten nicht verstehen zu können wenn ich nicht ein gewisses Maß an "Sekundärliteratur" im Vornherein konsumiere. Ich hasse Sequels, und ich hasse es, wie gerade Disney mit der Selbstverständlichkeit und Unnachgiebigkeit der Sowjetunion unter Josef Stalin kompromißlos sein Programm durchzieht und mit Neun-Jahres-Plänen danach strebt, sich die gesamte weltweite Unterhaltungsindustrie zu unterjochen. Ich hasse die Suggestion, dass alle Fiction aus diesem Konzern parallel in Universen existiert, die man besuchen kann. Ich hasse das Marvel-Multiverse genauso wie das DC Universum, und noch mehr hasse ich den Gedanken, dass man mit dem Gummi Ship theoretisch zu Spoderman oder Dark Vader fliegen könnte, wenn einem danach beliebte. Alles daran ist schlimm, nichts passt zusammen, jeglicher Exzess ist Ausdruck eines Pyrrhussiegs metastasierender Postmoderne. Das gesamte Spiel ist eine überwältigende Kakophonie endlos übereinander arrangierter Moods, die den rezeptiven Cortex von Menschen über dem Alter von 12 Jahren wahrscheinlich nach zwei Stunden zum Platzen brächte.

Mit anderen Worten, es klingt nach einer Herausforderung.

Ich hab Kingdom Hearts 2 damals für nen zwanni auf der PS2 gekauft und nach acht Stunden endlosem Cutscene-Gelaber meine Zeit mit was besserem verbracht. Wirklich geändert hat sich, bis auf die Grafik, eigentlich nichts. Die Themen sind immer noch sehr vage, die Tonalität immer noch "all over the place" (evtl. sogar mehr als in den anderen Titeln, wenn man berücksichtigt, dass es sich um den letzten Handlungsabschnitt einer über fast zwei Jahrzehnte hinweg erzählten Geschichte handelt), aber jedes Spiel, dass so groß ist und von so vielen meiner "peers" ignoriert wird, reizt automatisch meine Aufmerksamkeit. Schließlich ist der Mainstream-Spielegeschmack von Ü30-Menschen auch zum steinerweichen mies und stockkonservativ, verwahrt sich rabiat gegenüber neuem und kann seine Meinungen eh nicht mehr konzis formulieren, weil man sich eh für Gaming nur noch am Rande interessiert weil Familie und so. Mit anderen Worten: Leute, die zu alt sind, um Smash Brothers zu mögen.

Andererseits erfüllt auch mich der Gedanke, dass die Art wie Kingdom Hearts als Spiel funktioniert, für eine ganze Generation jüngerer Spieler den Eichpunkt definiert, mit dem sich der Videospiel-Erfahrungshorizont für diese geöffnet hat, mit tiefer, tiefer Verzweiflung. Aber er erklärt so vieles! Die Spielzeugkisten-Natur des Spiels an sich, welches Regeln erzählerischer Plausibilität komplett ignoriert, um Charakterkonstellationen zu ermöglichen, die sonst nur Fanfiction vorbehalten wären. Kingdom Hearts ist, aufgrund seiner in jeglicher Hinsicht exzessiven Natur, ein guter Stein von Rosetta, um sich die Beliebtheit von sowas wie dem Marvel Cinematic Universe zu erklären (Und es offenbart den roten Faden, mit dem eine Firma wie Disney operiert, zumindest zu einem gewissen Punkt). Es ist die Kooperation zwischen einer Firma, die das Erzählen von Geschichten und das Kreieren von Welten komplett verlernt hat, indem es diese Konzepte zu massenproduzierbaren Gütern erhoben hat, die man am Fließband raushauen kann, so wie Toastbrot, und einer Firma, die dasselbe getan hat, aber damit nie da gewesenen Erfolg feiert.

Square Enix ist seit der Nova Fabula Chrystallis ausschließlich im White-Elephant-Business aktiv. Square Enix ist das Videospiel-Äquivalent zu einem Eisenbahn-Baukonzern, der nur noch Transrapids baut. Einen Transrapid nach dem anderen, und die Trümmer jedes Entgleisens und jedes tödlichen Zusammenstoßes versucht, zum Bau neuer Transrapids zu verwenden. Final Fantasy 13 ist für mich eines der unfassbarsten kreativen Fiaskos, die das Medium je hervorgebracht hat, und hätte für jede andere Firma eigentlich die sofortige Pleite bedeutet, nicht so jedoch für Square Enix. Warum auch immer. Die Firma ist unpleitbar, auch wenn ich seit ca. zwei Jahren ständig an allen möglichen Stellen einwerfe, dass ich fest mit deren Untergang rechne, "dieses Jahr ganz sicher!!1" Und doch war Square Ende der 90er der Hot Shit, so wie Kojima. Die Zukunft des interaktiven Erzählens kam damals aus Japan, und so sehr man sich gedanklich oder ganz praktisch versucht, dagegen zu wehren - die Gegenwart wurde dadurch entscheidend geprägt. Regisseure wie der Heini mit diesem Kong-Film in Apocalypse-Now-Ästhetik berufen sich genau auf Kojima als ihren ästhetischen Gott, und die Art wie Drama konzeptionell ausgefüllt wird lässt sich bei sehr vielen Kreativen wohl auch auf Final Fantasy VII zurückverfolgen. Es ist eine direkte Konsequenz aus der Tatsache, dass "Nerds" die Herrschaft über die Popkultur unserer Zeit errungen haben und diese Macht mit eiserner Hand zu nutzen verstehen. Alles ist im Würgegriff ultimativer Lustbefriedigung gefangen, alle wollen immer alles, jeder scheiß Kinofilm dauert dreieinhalb Stunden und muss mindestens eine viertelmilliarde Dollar gekostet haben, jedes Videospiel muss aus einer HBO-Staffel-langen Menge an Cutscenes gespickt sein, sonst kann man es nicht als "AAA" ernstnehmen und die Vermarktung in China kann man sich damit gleich schenken. Oder was auch immer die Ratio ist hinter diesem rein datenbasierten Ansatz von Kreativität.

Jetzt hab ich mich doch schon sehr weit von Kingdom Hearts 3 entfernt, aber ich finde es sehr interessant, was so die verschlungenen Wege und Hirngespinste unserer Gegenwartskultur sind, die uns an diesen Punkt gebracht haben, an dem ich mich mit meinem gebrochenen Körper und meinem hinreichend zermatschten Geist vor dieses Spiel setze und fast jedes mal lachen muss, wenn Donald irgendwas sagt, oder nach fast dreizehn Stunden Spielzeit immer noch nicht klarkomme, mit welcher Aggression das Spiel versucht, mich für sich einzunehmen, während es immer noch daraus besteht, dass man sich eine ewig lange, netzhautzerbrutzelnd bunte Cutscene nach der anderen reinzieht und ab und zu sogar selber mal spielen darf (Entweder Kämpfe oder Fetchquests). Und das trotz allem an jeder Ecke und jedem Ende versucht wird, NOCH MEHR Spiel in das Spiel reinzustopfen. Ich habe große Sympathien für dieses Konzept entwickelt durch die Yakuza-Serie, ein modernes Meisterwerk, über das man in Jahren noch sprechen wird, und in vielerlei Hinsicht die Antithese zu Kingdom Hearts, obwohl grundsätzlich derselbe Ansatz verfolgt wird und die gestalterischen Mittel, besonders das Pacing, sich nicht allzu sehr unterscheiden. Kingdom Hearts 3 will derart gern gemocht werden, dass es einem quasi ständig mehrere Golden Saucers unter die Nase reibt, sie schlußendlich sogar einfach über das Pause-Menü zu navigieren freischaltet, so dass man jederzeit sich eine Ablenkung von der Ablenkung vom Alltag verschaffen kann. Wieder verfolgt nach Final Fantasy XV ein Spiel das Oberthema "Road Movie, aber als Urlaub", und wieder wird diese nostalgische Sommerferienstimmung punktiert durch Melodrama, das kontinuierlich derart viele Figuren hinzufügt, dass jeder halbwegs normale Mensch in irres Gelächter ausbrechen würde wenn schon wieder ein Umschnitt auf eine neue (bzw. altbekannte) Figur trifft. Darüberhinaus existieren die meisten Figuren zweimal, aber jeweils auf unterschiedliche Weise. Es können auch bis zu drei unterschiedliche Figuren in einer Figur stecken oder aus einer Figur hervorgegangen sein, quasi durch asexuelle Knospung oder wie bei einem Regenwurm, den man zerteilt (Kein Scheiß! Auch wenn das Spiel andere, weitaus unpraktischere und schwurbeligere Analogien verwendet).

Das Ding ist: Die Story von Kingdom Hearts ist so schwer nicht zu verstehen - es sei denn, man hat krasse Probleme mit Anime Bullshit, und das ist auch wieder so ein Generationen-Ding, wo man ab einem bestimmten Jahrgang hinaus nicht mehr mit einer Bereitschaft rechnen kann, sich mit sowas zu beschäftigen, auf einer ganz grundsätzlichen Ebene. Metal Gear-Lore ist bspw. ernsthaft "broken", weil Kojima quasi Powercreep in seinem eigenen erzählerischen Universum hatte und sich wohl die gesamte Zeit in internen Psychokriegen mit seinen Chefs bei Konami befand. Kingdom Hearts hingegen kann einfach sagen "Magic exists" und gut is'. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Bei MGS kannst du nicht einfach sagen "Magic exists" und alles ist geklärt. "This happens because magic", okay, klar. Jeder, der in seinem Leben mal ein Märchen gehört hat ohne den Erzähler mit dem kritischen Einwurf zu unterbrechen, dass die Geschichte die Logik ihrer eigenen Welt zu krass ignoriert, dürfte das kapieren.
Allerdings würde ich ohne die sechsteilige Recap-Videoserie, die Squenix in das Spiel Day 1 reingepatched hat, tatsächlich größere Probleme haben. Letztenendes ist die Geschichte aber in einem Satz zusammenzufassen: Ein böser Zauberer will die Welt in Trauer und Dunkelheit stürzen, weil juckt, und ein jugendlicher Held versucht nit Hilfe von Micky Maus und Donald Duck ihn davon abzuhalten. So, war das so schwer? Ist das so dermaßen undurchdringlich, dass man eine kommentierte Version zum nebenher mitlesen braucht? Diese rhetorischen Fragen sind mehr an die Leute gerichtet, die die vermeintliche Komplexität der Story des Spiels als etwas ganz tolles verteidigen, dass auch definitiv existiert. Wie immer muss man hier beachten, dass es sich um das Urteil von Videospielern handelt, und diese können selbst 2019 nicht zwischen Grafik und Artdesign unterscheiden und eben auch nicht zwischen "Komplex" und "kompliziert". Kingdom Hearts ist einfach nur unnötig kompliziert. Metal Gear Solid ist NICHT unnötig kompliziert, aber auch nicht komplex - Metal Gear Solid ist Unsinn. Die Story von Final Fantasy XIII war ja auch nicht kompliziert, ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass sie nicht mal schlecht war - sie war einfach nur beispiellos scheiße erzählt (Und dazu addiere ich auch hinzu, wie das eigentliche Spiel abläuft in den ersten 20 (!) Stunden).

Spielen tut sich das ganze wie ein akzeptabler Kompromiss aus dem actionbetonten, brawlerhaften Kampfsystem aus Nier Tomate und dem "halte X gedrückt um Attacken zu spammen" aus FFXV. Ich musste bisher sogar häufiger sterben als in beiden Spielen zusammen, und das in der Regel, weil ich ignoriert habe, das Kampfsystem in seiner Breite zu nutzen und darauf zu achten, magische Attacken anhand der Schwächen der Gegner gegenüber Elementschaden einzusetzen. Das hab ich mittlerweile verlernt, in zu vielen Spielen dieser groben Stoßrichtung war das auf normalem Schwierigkeitsgrad schlicht und ergreifend egal. Die ganzen Kombomanöver, die man nach dem Auffüllen diverser Meter loslassen kann, erinnern guterdings an die Xenoblade-Spiele jüngerer Vergangenheit, das funktioniert alles relativ gut. Was Squenix bis heute nicht geschissen kriegen sind interaktive Umgebungen. Man wird zwar wie in FFXV dazu angehalten, elaborierte Movement-Manöver zu machen (Bspw. sich wie Bayonetta am Stripper Pole um ein im Level platziertes zylindrisches Objekt zu wirbeln und dabei damage zu machen oder per gedrückthalten von drei tasen gleichzeitig zu irgendwelchen grapple points zu warpen), aber aus mir nicht ersichtlichen Gründen ist die Buttonbelegung komplett anders als aus quasi jedem anderen charakter action game gewohnt und selbst nach 15 stunden drückt man oft genug noch die Ausweichtaste, statt bspw. anzugreifen. Crazy Shit. Man kann quasi nur über das Systemmenü durch ummappen der Tastenbelegung was dran ändern, fucking lol.

Am besten finde ich aber, wie gewitzt Squenix den 60Hz-Mode auf der PS4 Pro versteckt haben: Nämlich, indem man vorher global im Systemmenü Supersampling deaktiviert. Tadaa, läuft der Performance Mode mit quasi bombenfesten 60 Frames. Ich finde aber den Renderlook des Downscalings in dem Fall geiler als 60 FPS, denn wenn ich schon so viele meiner ehernen Grundsätze komplett über Bord geworfen habe, kann ich genausogut auch diesen ignorieren und mich komplett einsuhlen in diesem Trog aus etwas, das ignorantere Naturen "abgestandene Schweinescheiße" nennen würden. Es appelliert auf ganzer Breite an die ausnahmslos schlechtesten Instinkte von Videospiel-Gutfindern: Cutscenes statt selber spielen! Disney statt origineller Ideen! Zitieren statt zitiert werden! Auflösung statt Framerate! Angucken statt anfassen! Nur dabei statt mittendrin! Mehr statt weniger! Dauergrinsen statt frowny face! Form statt Funktion! Steuerung invertieren, aber nicht global! Ausserdem ist unser 'invertiert' euer 'nicht invertiert'! *Mit der Stimme von Micky Maus* Hahaa!

Bei so vielen Aspekten verbittet "conventional wisdom" eigentlich jegliches Gutfinden von irgendwas an dem Spiel, andererseits fasziniert mich an dem Spiel quasi alles. Ich kann fast jedem Detail irgendeine Form fast perverser Bewunderung entgegenbringen, und sei es die Beobachtung von Tim Rogers zu dem Spiel, dass wenn man im Spiel einen Koffer sieht, man davon ausgehen kann dass Leute, die mit Videospielen nichts am Hut haben, im "richtigen Leben" 3000 Dollar für diesen Koffer ausgeben würden. Und leck mich am Arsch, er hatte Recht. Als mir im Spiel ein Koffer übergeben wurde, sah er aus wie der facy-este scheiß Koffer, den ich je jenseits von Urlaubsfotos von Christiano Ronaldo gesehen habe. Das Spiel hält einem eine Pistole aus Charme an die Schläfe und brüllt einen an, auf die Knie zu gehen und es lieb zu haben. Es ist perfekt für diese Zeit, weil es wenn man drüber nachdenkt wie ein Videospiel aus einer Paul-Verhoeven-Dystopie wirkt, und auch diese Dystopien haben ihre verlockenden Aspekte.

Oder ich bin schlicht und ergreifend geschmacksbefreit bzw. in meinem Spielekonsum mehr als nur latent pervers veranlagt. Oder vielleicht auch nicht. Naja, who cares. Bitte keine Einzeiler-Mitleidsantworten, Danke.
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