a gentle breeze  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 10.01.2019 19:01 Uhr
Thema: The Banner Saga 2 - Leere Varl-Versprechen Antwort auf: Durchgezockt: Senf aus Festplatten für zwei Cent von membran


Nachdem ich so positiv vom ersten Teil der Banner Saga überrascht wurde, ließ der zweite Teil nicht lange auf sich warten. Wieder glänzt dieser mit wunderbaren Landschaftsgrafiken von Igor Artyomenko (u. a.), die von Eyvind Earle inspiriert wurden. Der Flüchtlingstrek schlägt sich nun nicht mehr durch die Eiswüste, sondern erlebt auch andere Landschaftsformen, was der Abwechslung zugute kommt und die Stimmung etwas auflockert. Hier hat man sich richtig ins Zeug gelegt und bietet dem Spieler eine waghalsige Flucht über Stock und Stein (im wahrsten Sinne des Wortes). Die Bandbreite an Charakteren ist auch erweitert worden und man bekommt es hier mit nochmals fieseren Rauhbeinen zu tun als vorher. Das Spiel an sich ist in Sachen Kampfsystem einen Hauch komplexer geworden, sonst hat sich kaum etwas verändert. Es gibt nun endlich bestimmte Siegbedingungen für einige Auseinandersetzungen und die Charaktere können ihre Punkte in gewisse Fähigkeiten investieren. Zudem findet sich das ein oder andere Hindernis auf dem Schlachtfeld. Alles in allem ist das eine willkommene Verbesserung gegenüber dem Vorgänger.

Storytechnisch kann man ein Savegame vom letzten Teil übernehmen, oder man beginnt neu mit einer Auswahl an verfügbaren Figuren. Das ist schon fast zu gut, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein interessanter Charakter bereits verloren ging, ist in diesem Spiel groß. Eine "plot-armour", also eine Sicherheitsgarantie gibt es hier für niemanden. Soweit so gut, man spielt wieder vor sich hin und trifft Entscheidungen, bei denen nicht immer klar ist, wie das Ergebnis ausfällt; Hier muss man diplomatisch auftreten, dort wird hartes Durchgreifen und Strenge gefordert. Das ist ganz reizvoll und erhält die Spannung, wenn aber immer mehr Figuren dadurch verloren gehen, oder sich Entscheidungen als unvorteilhaft herausstellen, fühlt sich das nicht an wie selbstverschuldet und man muss man schon mindestens noch einmal anfangen, um diese Schnitzer wieder auszubügeln. Leider bestehen die Entwickler auf das Wegklicken von größtenteils überflüssigen Hinweisen in der ersten halben Stunde, was einem Tutorial gleichkommt und sich nicht abstellen lässt.

Während die Handlung voranschreitet, erscheinen relativ unvermittelt kurze Videos, die ein wenig an die Filmchen der frühen CD-ROM Zeit erinnern. Überhaupt ist die graphische Umsetzung der Spielwelt ein kleiner Kritikpunkt am Spiel: Auch wenn die stoischen Nordmänner kaum Gefühle zeigen, wäre es mal nett gewesen wenigstens ein paar unterschiedliche Gesichtsausdrücke zu zeichnen, die zur jeweiligen Situation passen. Das hat mich im ersten Teil schon gestört. Auch andere Spielsituationen werden vom Spiel graphisch nicht sonderlich verständlich kommuniziert, wie z. b. die Perspektivwechsel. Die Karte erscheint und zeigt ein kleines Gesicht der jeweils nächsten aktiven Figur, für die man nun entscheidet. Das ist einigermaßen klar, hätte aber noch deutlicher gemacht werden können. Außerdem vermisse ich auch in diesem Teil die endlosen Horden der Feinde auf dem Reisebildschirm: Die Moral der Truppe ist angeblich gut, die Landschaft wunderhübsch, aber der Spieletext spricht von Massen an Dredge, welche dem verzweifelten Flüchtlingstreck nachstellen und denen man einfach nicht entkommen kann. Das will nicht so recht zusammenpassen.

Die oben erwähnten Kritikpunkte sind zugegebenermaßen ein wenig subjektiv und mit meiner Kritik an Alettes Geschichte füge ich ihnen noch einen weiteren Punkt hinzu. Ich bin durchaus für weibliche Protagonisten und war gespannt, wie sich die Geschichte mit Alette an der Spitze dieser offenbar von Männern dominierten Gesellschaft entwickeln würde, aber auch wenn (männliche) Figuren an ihrer Führungsrolle zweifeln, wird diese kaum in Frage gestellt oder offen kritisiert. Das erscheint mir irgendwie nicht sonderlich glaubwürdig und ich vermisse da vielleicht irgendeinen Konflikt, aus dem Alette gestärkt hervorgeht, oder so etwas. Alettes Rolle im ersten Teil war das Gegenteil dessen, was die ach so harten Männer ausmacht und worüber sie sich wohl leider auch definieren, nämlich Gleichgültigkeit gegenüber anderen, das Zeigen von Gewaltbereitschaft, etc. Und nun übernimmt sie einfach das Steuer? Sorry, das passt nicht so recht in das Bild der Gesellschaft, wie sie das Spiel zeichnet. Naja, vielleicht ging es nur mir so. Bei einer so guten Geschichte und facettenreichen Welt nehme ich solche Dinge vielleicht stärker wahr, als bei dem üblichen dumpfen Storytelling, das man als Spieler gewohnt ist.

Trotz dieser kleinen Schnitzer und einer überschaubaren Spielzeit ist der zweite Teil der Banner Saga die stimmungsvollste Visual Novel, die ich seit langem gespielt habe. Wer's günstig auf gog oder steam bekommt, sollte unbedingt zugreifen.
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