a gentle breeze  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 14.12.2018 23:21 Uhr
Thema: The Banner Saga - Wer die Varl hat, hat die Qual Antwort auf: Durchgezockt: Senf aus Festplatten für zwei Cent von membran
Mit zunehmenden Alter finde ich (neben Adventures) Spiele, die man stark abstrahiert als Kartenspiel auffassen könnte und die ohne Geschicklichkeitspart auskommen, immer reizvoller (Dead in Bermuda/Vinland, Reigns, etc.). Das schon 2014 veröffentlichte The Banner Saga ist so ein Spiel, das scheinbar nach dem Oregon-Trail-Prinzip funktioniert: Man wird in eine Situation geworfen und muss nun mit den verfügbaren Möglichkeiten das Beste machen. Dabei fallen zunächst das interessante Szenario, der ausgefallene graphische Stil und die "erwachsene" Geschichte auf (und damit ist nicht der kriegerische Aspekt gemeint). Grob gesagt geht es um eine Gruppe von Flüchtlingen, zu denen auch gewisse Riesen (die Varl) zählen, welche auf der verzweifelten Flucht vor den Dredge, mysteriösen steinernen Kriegern, sind. Die Details können im Gamestartest nachgelesen werden, daher spare ich mir das.

[https://www.gamestar.de/artikel/the-banner-saga-im-test-der-tod-kommt-ueberraschend,3031814.html]

Was mir storytechnisch auffiel, war die für Spiele ungewöhnliche Perspektive der Unterlegenen. Normalerweise gehört die Zugehörigkeit zur bedrohten Gruppe in Computerspielen nur zur Motivation des oder der Helden, welche aber ansonsten jeden einzelnen Feind mit Leichtigkeit das Fürchten lehren, hier ist man wirklich auf der Flucht vor einer großen Horde gesichtsloser Schurken, welche durchaus gefährlich erscheinen. Dabei wirkt dieses Spannungselement irgendwann in den ca. fünfzehn Stunden, die ein Durchgang wohl verlangt, auch ein wenig ermüdend. Wer geht schon gern immer nur auf dem Zahnfleisch? Trotz der verfremdeten "Wikinger"-Welt wirken die Akteure übrigens sehr menschlich und sind keine brutalen Alphatiere, die für Machtphantasien der Spieler herhalten. Wer heißblütig anderen auch nur über den Mund fährt, verscherzt es sich schnell mit ihnen und kann auf keine weitere Unterstützung hoffen. Gute Anführer des Treks üben sich in Diplomatie.

Alles in allem habe ich TBS sehr genossen. Bei einem angefangenen zweiten Durchgang fiel mir dann auf, dass es absolut keine Zufallsereignisse gibt -- jedes Event auf dem Weg ist gescriptet. Mit diesem Wissen könnte man natürlich besser abschneiden, aber dann ist auch der Zauber dieser sich langsam entwickelnden Geschichte dahin, daher werde ich wohl nur den ersten Durchgang in guter Erinnerung behalten und es dabei belassen. Spielerisch ist das ganze bei kritischer Betrachtung übrigens ziemlich flach: Die taktischen Kämpfe, in der Gamestar zu unrecht gelobt, basieren auf einem reizvollen System, sind aber simplistisch und bieten nicht mal Hindernisse im Gelände. Nun könnte man sagen, dass sie dann wenigstens nicht weiter negativ auffallen.

Das zweite Gameplayelement (der Oregon-Trail-Teil) dagegen ist eigentlich nicht der Rede wert. Man kann kaum im Voraus planen, weil die Karte zu ungenau ist, aber die schwindenden Ressourcen verdeutlichen immerhin in welcher misslichen Lage sich die Flüchtlinge befinden. Viel Platz für Entscheidungen wird hier jedoch nicht geboten. Wenn man dann aber die wunderhübsch gezeichneten Landstriche sieht, welche unsere versprengte Gruppe aus Menschen und Varl durchwandert, dann ist das alles verziehen. Die gelungene Verquickung von Spielmechanik und Szenario in Verbindung mit dem ansprechenden Stil und der spannend erzählten Story verbindet sich zu einem äußerst atmosphärischem Titel, den man schon aufgrund seiner Andersartigkeit einmal gesehen haben sollte. Ich könnte mir kaum etwas vorstellen, das besser zu den kühlen Winterabenden passt als die irgendwie beschauliche Flucht vor den Dredge, auch wenn es sich bei TBS eigentlich schon fast um eine Visual Novel handelt. Empfehlung!
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