Macher  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 28.10.2018 13:36 Uhr
Thema: Eigene Erfahrung Antwort auf: Rockstar gehören boykottiert von Macher
Das mit dem Boykott war nicht mein Ernst oder nicht 100%. Prinzipiell stimmt es, dass sie boykottiert gehören, allerdings wäre das genauso wie Windmühlen bekämpfen.

Ich habe Softwaretechnik studiert mit der Absicht, später an Videospielen zu arbeiten. Während des Studiums habe ich Praktika bei zwei Computerspielherstellern gemacht. Das erste ist verhältnismäßig unwichtig. Die Arbeitsatmosphäre war dort OK. Die hatten andere Probleme.

Beim zweiten hat der Eigentümer systematisch die Leute ausgenutzt. Ein paar Beispiele:

- Die haben den Publisher bewusst angelogen, wann sie das Spiel fertigkriegen.

- Es ist meines Wissens mindestens zwei mal passiert, dass am Ende eines Projekts zwei Drittel des Teams entlassen wurden, weil man am Anfang weniger Leute als am Ende des Projekts braucht.

- Ein junger Typ wollte bei denen arbeiten und ist deswegen 600km weit umgezogen. Der Eigentümer wollte ihn erst als Praktikant für 4 Monate einstellen für 300€/Monat, um ihn auszuwerten vor der Festanstellung. Die haben sich auf 600€/Monat geeinigt, weil 300 nicht mal für die Miete ausgereicht hat. Zufällig war es geplant, dass das Projekt weitere 4 Monate dauert. Ihr könnt euch denken, was am Ende passiert ist.

- Jeder (außer mir) hat irgendwann 10 Stunden am Tag gearbeitet. Kurz darauf wurden sie am Freitag gefragt, an welchen Tagen des Wochenendes sie arbeiten können. Kurz darauf wurden sie gefragt, an welchen Tagen des Wochenendes sie nicht arbeiten können und mit welcher Begründung. Überstunden werden natürlich nicht bezahlt und nicht angerechnet.

- Am Ende meiner Zeit dort holen die mich in Besprechungszimmer. Sie versuchen mich zu überreden, noch die Aufgaben abzuschließen, die an meinem letzten Tag noch offen wären (es hat sich keiner beschwert, dass ich ineffizient gearbeitet hätte). Ich unterbreche sie gleich am Anfang und sage, ich werde nächste Woche (nach Ablauf meines Vertrags) nochmal kommen, weil ich es selbst nicht mag, halbfertige Sachen abzugeben. Ich gehe nochmal hin, bringe meine Aufgaben zuende. Wenn ich fertig bin, ist niemand da, um die Ergebnisse abzunehmen. Keine Verabschiedung. Kein Danke. Keine Bezahlung (hoho!)

Das Erlebnis in Kombination mit dem Ehrgeiz der deutschen Branche, nur lokal Erfolg zu haben hat mich davon abgebracht, bei den Spielen mein Glück zu suchen. Sowas passiert nicht nur in Amerika und es ist egal, ob es Gewerkschaften gibt oder was legal ist, solange die Verletzung der Gesetze nicht tatsächlich bestraft wird. Das Team bei Rockstar, das am meisten von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen ist, ist in Lincoln in GB. Nicht US.

Das heißt nicht, dass das, was bei Rockstar passiert, in der Spielebranche normal ist. Den Berichten nach, ist es besser sowohl bei EA wie auch bei Ubisoft zu arbeiten. Und wenn diese Firmen betrachten das nicht als Tugend, ihre Leute zutodezuarbeiten. Zumindest nicht in dem Ausmaß und nicht nach außen hin. Sie verdienen auch nicht so viel Geld pro Mitarbeiter wie Rockstar und die Probleme sind nicht systematisch und projektübergreifend. Rockstar hat Vorzeigefunktion und gehört (vom Staat) bestraft.

Ein Boykott ist fast albern aber es ist gut, sich einmal bewusst zu machen, wie solche Spiele gemacht werden. Die beste Lösung wäre, wenn zumindest potenzielle Bewerber dort ihr Fanboytum ablegen würden, und es nicht als Ehre betrachten würden, dort zu arbeiten. Das haben die nicht verdient.

Der Macher
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