Bullitt  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 14.06.2017 20:59 Uhr
Thema: Fast 24 Stunden später... Antwort auf: DIRT 4 von Tux
...zeigt das Spiel seine Stärken. Trotz seiner eklatanten und nicht wegzudiskutierenden Schwächen beim Fahren selbst, ist Dirt 4 als Rallyesimulation im weiteren Sinne ein echtes Brett - wenn man es mittels der Difficulty-Optionen zulässt.
Also: nehmt das Sim-Handling, stellt das KI-Niveau hoch und ganz wichtig: deaktiviert Restarts komplett! Ja, man ärgert sich, wenn es doch mal "Tits up" geht, aber das gehört zum Sport dazu!
In den ersten Stunden wird es noch egal sein, weil die Strecken so kurz und simpel sind, und die KI in den kleinen Klassen so harmlos, dass man immer gewinnt, auch im Rückwärtsgang. Doch in späteren Klassen, wenn die Autos schneller, die Rallyes länger und die Reparaturen teurer werden, zieht es an. Unweigerlich und deutlich spürbar. Hier stellt Dirt 4 einige grundlegende Aspekte von Rallye noch *viel* besser dar als Dirt Rally: Der Kampf gegen immer wieder unbekannte Strecken, die gnadenlosen Konsequenzen von Fehlern, der Kampf gegen den Verschleiß, die Probleme eines kleinen Rallyeteams trotz nominell gleichwertiger Autos...
Kurz: den Sport "Rallye" im weiteren Sinne.

Wie schafft Dirt 4 das?

Zum einen das Schadensmodell: Dies ist um Welten besser als bei Dirt Rally. Während man bei Dirt Rally immer noch relativ easy Schadensbegrenzung betreiben konnte, solange noch alle 4 Räder dran sind, ist man bei Dirt 4 viel schneller am Arsch wenn man nicht aufpasst. Nicht zuletzt, weil diesmal auch Verschleiß ein Faktor ist. Verschleiß ist eine große Stärke des Sim-Handlings, denn hier muss man seinen Fahrstil anpassen wenn man spürt, dass zum Beispiel die Dämpfer nicht mehr richtig arbeiten und das Auto deshalb zunehmend instabil wird. Ansonsten fliegt man ab, mit größeren Folgen als noch bei Dirt Rally.
Zusammen mit dem verbesserten Servicepark ist es noch viel wichtiger, taktische Entscheidungen zu treffen wenn die Zeit nicht ausreicht: Riskiere ich ein komplett instabiles Heck wenn ich die Dämpfer nicht tausche, oder riskiere ich lieber einen Kupplungsschaden? Oder ist nicht sogar das bewusste in Kauf nehmen einer Zeitstrafe die beste Option, damit ich doch beides tauschen kann?
Entscheidungen, welche in dieser Dringlichkeit weder Dirt Rally noch andere Spiele bisher verlangt haben.

Die Fahrzeugupgrades sind auch ein gutes Beispiel dafür, wie viele Gedanken sich  Codemasters hier gemacht haben: Keines der Upgrades liefert irgendwelche Verbesserungen auf dem Papier - nix ist mit höherer Leistung, geringerem Gewicht oder sonstigen Dingen. Man bekommt nur eines dafür: Haltbarkeit.
Dafür bezahlt man Upgrades gleich 3 Mal: Zum einen muss man ordentlich Geld investieren, um überhaupt Upgrades entwickeln zu können (natürlich in verschiedenen Stufen). Dann muss man selbstverständlich jedes verbesserte Teil einzeln noch einmal kaufen. Zu guter letzt zahlt man bei jeder Reparatur noch einmal, sowohl mit höheren Preisen, als auch mit mehr Reparaturzeit.
Klingt nach einem "bad deal"? Keineswegs, denn hier kommt das bessere Schadensmodell ins Spiel.
Meine erste Saison in der höchsten Klasse mit einem niegelnagelneuen R5 war ein kolossaler Reinfall, weil mir die Kiste einfach eingegangen ist trotz relativ wenigen Fahrfehlern. Ich hatte kein Geld mehr für Upgrades. Die ersten Stages einer Rallye waren noch ganz gut, aber irgendwann schlingert das Heck so sehr, dass man langsam machen muss mit low level Teilen. Einmal ist mir die Kupplung eingegangen, nachdem sie schon seit Kilometern immer mehr rutschte. Da war die letzte, 14 km lange Etappe dann doch zu viel... In dem nun viel größeren und engeren Fahrerfeld kommt dann am Ende auch mal nur Platz 23 dabei heraus. Außer Spesen nix gewesen.

Die Karriere generell spielt hier mit rein. Zum ersten Mal seit V-Rally 3 schafft es ein Spiel, mir glaubhaft zu zeigen, warum man als kleines Team Nachteile hat trotz auf dem ersten Blick gleichwertiger Autos. Das ist für mich enorm wichtig wenn es um Glaubwürdigkeit geht.
Allgemein ist Dirt 4 das erste Spiel, welches den fantastischen Karrieremodus von V-Rally 3 übertreffen kann. Lang, LANG hat's gedauert! Dass ausgerechnet Codemasters diejenigen sind, ist dann doch eine große Überraschung - Normalerweise ist das "Drumherum" entweder klinisch steril (vgl. Dirt Rally), oder eine komplett alberne "cinematic experience" (vgl. Dirt 1-3, Grid, ...). Ich hätte da eher mit Milestone gerechnet, die ihren Mangel an Budget und technischer Kompetenz häufig mit wirklich guten Ideen kompensieren können.

Last but not least: Je länger man spielt, desto größer werden die Vorteile der generierten Strecken. Man fährt halt immer wieder auf Neuland, sodass man zwingend auf den Beifahrer hören muss und generell besser auf unerwartete Situationen reagieren muss. In der Karriere fährt man zwar die selben Strecken wenn man das selbe Event noch einmal fährt, aber man hat halt in jedem weiteren Event auch neue Strecken. Zudem das richtige Biester werden können, je länger und komplexer die Pisten werden. Was zum Beispiel Spanien oder Wales an Downhill-Sektionen bieten, ist schon übel. Besonders wenn das Auto bereits etliche Kilometer und den einen oder anderen Zaun hinter sich hat...
Optisch bleiben die Strecken enttäuschend, spielerisch aber kommen da echt dicke Dinger.
Anmerkung noch zur Abwechslung: Ja, man erkennt dass viele Streckenstücke aus dem Baukasten kommen. In gehobener Reisegeschwindigkeit hat man aber einfach nicht mehr die Zeit, anhand der Anordnung von Baumgruppen die Kurven zu bestimmen. Als Herausforderung funktioniert der Streckengenerator also ganz ausgezeichnet, auch wenn es optisch nicht sonderlich gut ist, was da raus kommt.

Wenn sie doch nur das Handling aus Dirt Rally rüber genommen hätten...

So bleibt Dirt Rally das deutlich bessere Spiel in Sachen Rallye fahren, aber den Rallysport als ganzes bringt Dirt 4 besser - deutlich besser.
Beide Spiele haben so ihre Berechtigung... ist doch auch mal was.

PS: Ich habe in den knapp 24 Stunden noch nicht ein einziges Rallycross, Landrush oder sonstiges Rennen absolviert. Das kann man komplett ignorieren, ohne dass man das Gefühl hätte, es würde irgendetwas fehlen.

Christian

***Diese Nachricht wurde von Bullitt am 14.06.2017 21:04 bearbeitet.***
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