Bullitt  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 11.06.2017 17:30 Uhr
Thema: Erstaunliche Schwächen, überraschende Stärken Antwort auf: DIRT 4 von Tux
Dirt 4 ist eine ziemlich zwiespältige Angelegenheit. Das Spiel hat Probleme, welche ich so von Codemasters nicht erwartet hätte, aber es macht auf der anderen Seite viele Dinge ziemlich gut, mit welchen ich so nicht gerechnet hätte. Dirt 4 ist jedenfalls deutlich weiter davon entfernt, Dirt Rally 2 zu sein, als ich es gern hätte. Aber es hat auch mit den früheren Dirt Spielen erstaunlich wenig zu tun - was ich dann wieder durchaus gut finde.

Fangen wir mal an mit den Punkten, die ich nicht gut finde, denn diese fallen am Anfang sofort ins Auge...
- Die Grafik: Oh je, optisch ist Dirt 4 ein deutlicher Rückschritt gegenüber Dirt Rally. Die Randobjekte wie Bäume sehen scheiße aus, Texturen sind höchst mäßig, Partikeleffekte wie Staub wären so wohl auch auf der 360 noch möglich, die Leuchtweite der Scheinwerfer bei Nacht ist deutlich reduziert, und so weiter. Das alles auf "Ultra", wohlbemerkt. Als Ausgleich dafür ist die Performance scheiße, denn teilweise habe ich Ruckler wenn ich im Wald unterwegs bin, die ich ohne indiskutable Kompromisse auch nicht erschlagen kann. Ich vermute, es wurde für Konsolen entwickelt und Codemasters hatte einfach keinen Bock, es auf PC anzupassen. Idioten.
- Strecken: Neben der schon besagten Technik von vorgestern merkt man auch, dass die Strecken aus dem Generator kommen. Highlights sind selten, und wenn es welche gibt, dann trifft man sie exakt in dieser Form auf jeder zweiten Etappe des Landes wieder. Allerdings muss man dem Spiel zu gute halten, dass die Herausforderung definitiv da ist, wenn man den Verlauf nicht kennt und entsprechend den Beifahrer beachten muss.
- Fahrphysik: Wurde definitiv nicht zum Guten verändert. Wobei die Physik selbst bei den meisten Autos noch durchaus in Ordnung zu sein scheint, aber das Feedback haben sie komplett verhunzt. Man spürt kaum noch einen Grenzbereich und das Auto bricht gern ohne Vorwarnung aus. Ich spiele mit Pad, aber daran kann es nicht liegen, da zum einen Dirt Rally auch mit Pad ausgezeichnet spielbar war, und zum anderen Lenkradnutzer über ähnliche Probleme klagen. Es gibt zudem riesige Unterschiede bei den Antriebsarten. Fronttriebler fühlen sich gut bis sehr gut an, manche Allradler dagegen sind zum Teil mehr Krampf als Kampf (der 2001er Impreza zum Bleistift).

Wenn man das so liest, könnte man sagen "OK, Dirt 4 ist scheiße, gib mir'n Refund", aber ganz so düster sieht es dann doch nicht aus. Zum einen sind die Punkte zwar enttäuschend im Vergleich mit Dirt Rally, aber es bleibt immer noch ein solides Spiel für Freunde des Rallyesports. Zum Anderen zeigen sich mit der Zeit diverse Dinge, welche ziemlich cool gemacht und auch Dirt Rally sehr gut stehen würden.
- Manuelles Stoppen am Ende der Etappe: Klingt nach einer Kleinigkeit, macht aber SEHR viel aus, wenn man nicht Harakiri ins Ziel schießen kann, sondern auch noch richtig zum Stehen kommen muss. Das ist gar nicht so einfach wie man denken mag, wenn man die Etappe richtig hart gefahren ist. Kriegt man das Stoppen nicht auf die Reihe, gibt's Zeitstrafen und/oder macht macht sich dabei das Auto kaputt.
- Viele Gegner über verschiedene Klassen: Vorbei sind die Zeiten, in welchen man nur 16 Gegner der selben Klasse hat. Jetzt sind es auch gern 30 - 45 pro Klasse, dazu fährt man meist auch gegen andere Klassen. Macht sich zwar auf der Piste wenig bemerkbar, bereichert das Spiel als Ganzes aber definitiv.
- Service Park: Endlich nicht mehr das absurd unrealistische System von Dirt Rally, wo man jedes Teil bequem per Schieberegler zu 37% oder so reparieren kann! In Dirt 4 wird gefixt oder nicht. Allerdings kann man auch sagen "Quick Fix", was schneller geht und billiger ist, allerdings die Gefahr mitbringt, dass das Teil bei der nächsten Kleinigkeit wieder im Arsch ist. Auch sehr geil gemacht: Man kann sich aussuchen, ob man offensichtliche Schäden sofort reparieren möchte, oder erst einmal ein paar Minuten für eine genauere Analyse investieren möchte. Die Analyse ermöglicht dann genauere Zeitvorhersagen und kann weitere Schäden sichtbar machen, die man sonst gar nicht bemerkt hatte.
- Nicky Grist: Fan-Service!
- Fahrzeuge: Die meisten Autos kennt man von Dirt Rally, aber gerade die R2 Klasse (180 PS Fronttriebler) sind eine extrem sinnvolle Ergänzung. Auf denen kann man den Rallyesport perfekt lernen, sie sind schneller als die 60er Jahre Kisten welche komplett ohne Power daherkamen, aber sind deutlich besser fahrbar als die giftigen KitCars. Die R2 - und auch den 205 GTI - hätte ich sooo gern in Dirt Rally...
- Karriere: Keine verblödete Dudebro-Proletenscheiße wie in den alten Dirt Spielen, sondern ein glaubwürdiger Rahmen für die Rennen. Stelle Mechaniker und co ein, kümmere dich um Sponsoren, erweitere dein Team-Hauptquartier, deine Garage, usw... Es hat einen gewissen Anteil an Micro-Management, kann man zum Teil wohl auch als Tretmühle bezeichnen, aber ich stehe sehr auf sowas. Erinnert stark an V-Rally 3, nur noch etwas ausführlicher.
- Rally School: Kein Biggie, lockert das Spiel aber defintiv auf.
- Kurze Animationen für Siegerehrungen, Autos im Servicepark angucken und so: Kleinigkeiten, aber auch das lockert das Spiel ungemein auf.

Als Simulation ist Dirt 4 in der Tat ein extremer Rückschritt zu Dirt Rally. Als Spiel dagegen ist es das beste Dirt bisher. Mit Abstand.

Genrefans greifen zu.

Christian
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