token  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 13.03.2017 20:15 Uhr
Thema: Der geilste Käse stinkt Antwort auf: Sterling Review von membran
Okay, die Überschrift suggeriert wahrscheinlich schon dass man sich in irgendeiner Form von Verblendung anfängt jegliche Scheiße schönzusaufen und Idiotien als Geniestreiche zu begreifen. Aber das Meta-Thema der Kritik und der Kritiker, wie auch welche Wechselwirkungen zwischen dieser Branche und den Herstellern von Spielen vorherrscht und wie stark diese wiegen mag, beschäftigt mich schon seit geraumer Zeit, wobei ich für mich persönlich zum Fazit gekommen bin, dass ich mehr aus diesem Medium herausziehen kann, wenn ich Critics so gut es geht ignoriere, als wenn ich wie früher zu Magazinzeiten die Critics nutze um mir Fingerzeige geben zu lassen was keiner weiteren Betrachtung würdig ist und gedanklich sofort ausgeklammert werden kann, und wo sich der genauere Blick lohnt, wie auch wo die No-Brainer-Käufe liegen.

Ich möchte da mal kurz ausholen.
Meine Oma hat sich gerne mal hingesetzt und Patience gespielt. Ich hab mir das dann mal erklären lassen und dann selber ganz gerne Patience gespielt. Ich denke auch dass ein jeder etwa Solitaire kennt, und weiß dass es einerseits irgendwie seinen Reiz hat und eine Art meditative Wirkung, auf der anderen Seite aber auch unglaublich dumm ist da man mit Skills recht überschaubaren Einfluss darauf hat, was innerhalb des Spiels passiert und wie die Runde ausgeht. Und dabei ist Solitaire quasi noch so eine Art Dark Souls bei den Patiencespielen, ich kenn da genügend Varianten von der Omma, da macht man im Grunde nichts, wirklich nichts eigenes, sobald der Stapel gemischt ist, ist der Spielablauf zu 100% vorgezeichnet. Aber das macht dennoch irgendwo Spaß, man kann damit auch gut Zeit totschlagen, irgendwie so berieselungsmäßig den Kopf abschalten und sich dem Regelwerk hingeben.
Nichtsdestotrotz sind Abläufe von Patiencespielen nichts was man ausladend in seiner Autobiographie ausführen würde.

Man ahnt oder fürchtet wahrscheinlich schon wo das ganze hinführen soll. Das moderne Videospiel. Aber damit meine ich mitnichten Kram wie Walking Dead oder Heavy Rain, Games welche sich auch schon zum Release den Vorwurf gefallen lassen mussten im eigentlichen Sinne gar keine Videospiele zu sein. Ich meine fast die gesamte Bandbreite heutiger AAA-Produktionen, und da es hier auch um BotW gehen soll damit u.a. auch fast alle modernen OW-Vertreter, von Ausnahmen wie Mordor oder MGS5 mal abgesehen, und ich klammere auch bewusst nicht GTA5 aus. Ja, diese Spiele sind interaktiv, sie sind frei, sie spielen sich auch nicht vollends von selbst oder so. Aber sie machen etwas mit mir was dem Effekt von Patiencespielen sehr ähnelt. Sie stellen mich irgendwie auf eine Art Videospiel-Autopilot. Und das ist nicht per se schlecht. Es unterhält mich, es bespaßt mich, es weiß auch mit tollen individuellen Momenten aufzuwarten. Das weiß das Patiencespiel allerdings auch.
Es bleibt aber auch nichts hängen. Ich gleite irgendwie wie auf einer Magnetschiene durch das Spiel ohne die Schiene zu berühren. Diese Spiele machen alles "richtig" und fast nichts "falsch", und ja, sie unterhalten mich, aber sie berühren mich so gut wie gar nicht. Das Spiel ist dann irgendwann aus und dann ist es auch irgendwie weg.

Und dann geht man zur Psychodoc-Community und sagt, hmm, das berührt mich nicht. Wo ist meine kindliche Freude hin? Und die Psychodoc-Community sagt, das Kind in dir ist tot. Du fühlst keine Freude mehr in deinem Leben. Such dir ein anderes Hobby, geh joggen oder werd Veganer, dann hast du genug zu tun, aber nerv hier nicht mit deinen Depressionen.

Aber ist das der Wahrheit?
Ist es wirklich so dass man sich einfach geändert hat, oder ist es vielleicht doch so, dass sich vielleicht auch das Medium und dessen Output verändert hat?


Genug geleckt, kommen wir zur Sache.
Alles was Sterling schreibt ist richtig. Dieses Spiel macht so unglaublich unglaublich unglaublich viel falsch. Es ist in manchen Aspekten einfach eine Zumutung. So gesehen, 7/10 weil es "trotz" der Fehler auch einiges in Petto hat, next. Aber wie passt das damit zusammen dass es da eine Crowd gibt, die nicht einfach nur aus paar versprengten Freaks die sich zur Bespaßung zuweilen auch mal gern an den eigenen Eiern aufhängt um sich mal wieder zu spüren, sondern weite Teile von Spielerschaften regelrecht auffrisst, komplett einnimmt? Und nicht in der Form, höhöhö, coole Nummer, sondern diese Leute echt wegfetzt. 7/10? Wie kann das sein? Wie passt denn das Fazit "gut" mit den Eindrücken von nicht wenigen alten Hasen zusammen die hier einen "Meilenstein" zu erkennen glauben?
Springen sie halt komplett auf diese Stärken die abseits all der Fehler da sind außerordentlich an, oder ist es eventuell vielleicht doch so, dass diese Fehler im Kontext des Gesamtkonstrukts mehr sind als einfache Fehler, sondern Ideen die aufgehen?

Wenn ich BotW betrachte sehe ich im Grunde nichts, wirklich nichts was ich nicht schon anders wo gesehen habe. Ich sehe vor allem keine Innovation. Im Gegenteil.
So wie ich das Spiel begreife macht es gar das Gegenteil von Innovation. Denn was ich sehe ist einfach nur, dass man sich hier einerseits Zelda genommen hat, und andererseits diverse Stilmittel des Aufbaus moderner OW-Games, das ganze hat man dann verheiratet. Dann hat man aber etwas ungewöhnliches mit dieser Skizze gemacht, nämlcih per Zeitmaschine an eine Spieleschmiede aus den 90ern geschickt wo diese Skizze mit den seinerzeit üblichen Designpatterns zum Leben erweckt wurde, und dann hat man dieses Spiel wieder zu uns gesandt. BotW ist vom Aufbau hoffnungslos altmodisch, und es ist nicht mal falsch den Begriff "überholt" zu verwenden.
Wenn dieses Spiel eine Innovation anbietet, dann vor allem die jegliche Erkenntnisse modernen Spieledesigns zu ignorieren, dabei aber nichts neu zu erfinden sondern die OW-Formel auf konsequent altmodische Art auszurollen. That's it.

Ich persönlich glaube es ist so, dass modernes Spieledesign über zwei Aspekte von Außen zu erheblischen Teilen mitdefiniert wird. Es muss einerseits ein ungemein großes Publikum abholen, dementsprechend ist Sperrigkeit ein großes Problem. Es geht nicht primär darum das zu tun, was für das Spiel das richtige wäre, sondern darum nicht anzuecken. Moderne Spiele sind wie eine Art hochprofessioneller Sänger, einer der keine Hotelzimmer kurz und klein schlägt, sondern diszipliniert ist, einer der nicht säuft wie ein Loch, sondern jede Show in Hochform abwickelt. Aber wo sich der Sänger als Künstler eben durch Wahnsinn und Genie auszeichnet und damit interessant wird, ist der Gegenentwurf so eine Art Maschine. Zuverlässig, aber mit gespielter Leidenschaft, und egal wie gut sie gespielt ist, am Ende ist sie nicht echt.
Und auf der anderen Seite darf es nicht mehr hingehen und dazu einladen sich in die Eier treten zu lassen. Man nehme Doom3. Taschenlampe. Pistole. Taschenlampe. Pistole. Ja seid ihr denn deppert?! Was soll das? Warum geht ihr mir auf die Eier! Das sieht doch jedes Kind wie dumm das ist. Und es bleibt nicht frei von Wirkung, Doom3 ist vor allem deswegen ein perfektes Beispiel weil man da tatsächlich nochmal "nachgebessert" hat, und mit absoluter Sicherheit seine eigene Überzeugung verriet als man die Ducktape-Edition herausbrachte. Denn es ist nicht schwer zu sehen dass dieser Wechsel das Spiel ungefähr so gruselig macht wie Uschi Glas bei Nacht, also immer noch gruselig, aber come on. Dieser Designwechsel macht aus einer gefühlten Hölle eine Geisterbahn. Und das macht transparent dass diese Wechselwirkung zwischen Entwicklern, Community und vor allem Critics kein Hirngespinst ist. Spätestens Bonuszahlungen von Publishern anhand von Metascore-Vorgaben machen klar, dass sowas nicht frei von Impact bleibt.

Wenn ich Zelda:BotW betrachte, dann denke ich nicht dass ich trotz der Fehler so in dem Game versinke, sondern denke diese Fehler sind für diesen extremen Sog, dieses Gedankengefängnis was dazu führt dass das Spiel in meinem Kopf weiterläuft selbst wenn die Konsole aus ist (ohne Scheiß hatte ich am WE als ich mit meiner Tochter im Tierpark war einen ziemlich klaren Impuls zwei auf der Wiese nebeneinander stehende Reiher in die Luft zu sprengen), whatever, in meinem Verständnis sind diese vermeintlichen Fehler ein unverzichtbarer Baustein des Sogs und der Faszination und der Immersion dieses Spiels. Un-ver-zicht-bar.

Es sind keine Fehler und keine Probleme, es sind Patterns aus vergangenen Zeiten hinter denen eine Idee steht, und die diese Idee erfolgreich im Kopf des Spielers zur Entfaltung bringen. Das Konstrukt ist dabei nicht in Stein gemeißelt, es ist flexibel, hier eine Komfortfunktion, dort ein wenig mehr streamlining, drüben ein bisserl mehr Spielerführung und weniger Sperrigkeit, diese Spielräume sind sicher da, und könnten genutzt werden ohne das gleich ein anderes Spiel daraus wird, es wäre sicher gar ein noch besseres Spiel wenn man diese Spielräume so weit es eben geht ausnutzt.

Aber eben nicht unbegrenzt. Wenn ich keine Waypoints habe muss ich denken und die Welt anschauen und Hinweise lesen. Und werde oft genug scheitern und in der Luft hängen was ein wenig frustrierend ist. Wenn ich in Situationen geraten kann, wo ich recht viel Einsatz zeigen muss, um gewisse Spots zu erreichen, da meine Ressourcen verbrauche, und schlussendlich feststelle dass ich zurückkehren muss weil irgendwas fehlt wird auch das mich frustrieren und ist nicht die Essenz von Spielfreude. Es führt aber dazu dass ich die Welt ernster nehme, in der Welt verankert denke, bevor ich eine Tour starte diese vielleicht auch wirklich plane und mich vorbereite um auf Unwägbarkeiten reagieren zu können. Und so weiter und so fort. Dazu kriegt man mich nicht wenn man mich an der Hand nimmt und mich vor Schmerzen beschützt, in diese Spur komme ich nicht einfach so. Wenn man mich da hinkriegen möchte, muss man bewusst diese "Designfehler" machen, dann muss man auch den Mut haben mir auch mal weh zu tun, auch wenn mir das kaum gefallen wird und ich in den meisten Fällen nicht verstehen werde, dass dieser Schmerz tatsächlich notwendig war und wütend werde und das was da passiert als dämlich und unnötig und nervig titulieren werde.

Und nein, ich würde mir nicht wünschen dass nun alle Spiele so ticken. Dass das Medium nun eine Kehrtwende hinlegt und sich auf längst abgetriebene Designprinzipien zurückbesinnt und nun alle Spiele bei oberflächlicher Betrachtung zu einem Schmerz im Arsch werden. Ich würde das meiste gar nicht spielen wollen, ich habe nur endlich viel Freizeit, bin berufstätig, bin oft genug gezwungen mich auch mal aus einem laufenden Spiel für ne Woche auszuklinken, und will dann diese Woche später auch wieder reibungslos einsteigen können. Ich mag diese Autopilotennummer und das sind auch keine Antispiele oder so, dieses massentaugliche Designkonzept dass sich darum bemüht einem Spieler nicht ins Gesicht zu kacken ist gut.

Aber ich würde mir wünschen dass man sich von diesem schematischen Denken emanzipiert und das Gesamtwerk betrachtet, die Komposition bewertet, statt sich die Skills jedes Musikers aus dem Orchester vor die Brust zu nehmen, denen eine Note zu geben, und als Fazit dann die Summe dieser Noten durch die Anzahl der Musiker zu teilen. Damit wird man einer Komposition nun mal nicht gerecht, und manchmal verkennt man gar die jazzige Attitüde eines Drummers und meint der Mann hätte kein Rhythmusgefühl.

Das ist es was mich häufig stört, dass solche Dinge abgestraft werden. Man muss sie nicht feiern, aber diese ungewöhnlichen Ansätze werden eben nur zu gerne als Fehler deklariert weil sie nicht ins Schema passen, diese ungewöhnlichen Ansätze betteln auch geradezu darum abgestraft zu werden, weil der oberflächliche Blick auf diese gerne einen negativen Eindruck erzeugt, der Verstoß gegen Konventionen wird in den seltensten Fällen als Stärke begriffen, er eckt naturgemäß an.

Und klar kommt jetzt der Hinweis, äh, Herr token, hast du dir mal den Metascore von Zelda angeschaut? Es wird doch gewürdigt. Es ist hier doch eher Sterling der aus der Reihe tanzt. Und das was er dazu schreibt ist immer noch gut. Und auch diese Perspektive auf das Spiel ist relevant, denn es wird genug Leute geben die dieses Spiel ärgern wird, die das nicht toll finden werden, und die sollten halt auch wissen was sie erwartet, das ist der Sinn und Zweck eines Reviews. Aber da denke ich, und natürlich ist das eine Mutmaßung, aber ich denke halt wirklich, nimm exakt dieses Spiel und wechsle paar Skins und entferne die Trademark, und schon sind wir beim Metascore wieder bei den üblichen Mustern und damit zwei Etagen tiefer. Diese Leute haben halt auch Skyward Sword gefeiert, ich glaube ein Zeldabash ist sowas wie die Mohammed-Karikatur der Videospiellandschaft. Das tut man sich schon aus Eigeninteresse einfach nicht an.
Wie auch immer, irgendwie meine ich im Sterling-Review durchscheinen zu sehen, dass auch bei ihm was passiert ist. Hab den Eindruck der verbeißt sich einfach in den normalen Reviewmustern, und ich denke auch, diese vermeintlichen Probleme zu erkennen sind keine Kunst. Wenn BotW nicht das erste Spiel ist was man zockt, sieht man diese Dinge, sie springen einen geradezu an, es ist ein Sammelsurium an etablierten Konventionsverstößen. Aber genau weil es so offensichtlich ist, dass hier ein Stilbruch vorliegt, ist es irgendwie billig diesen Stilbruch nach Schema F abzufertigen.
Aber es ist auch egal, ich hab kein Problem mit dem Review und möchte es gar nicht anprangern, es hat jetzt einfach nur die Gedanken getriggert die mir schon seit längerem im Kopf herumschwirren.

Und nein, nicht alles was stinkt ist geiler Käse, im Regelfall ist es ein Stück Scheiße, nichtsdestotrotz, geiler Käse muss stinken.
Und ja, für die tägliche Mahlzeit bevorzuge ich Gouda, hail Gouda, aber für einen Gouda öffne ich keine Flasche Wein.
< Auf diese Nachricht antworten >