strid3r  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 24.02.2017 18:13 Uhr
Thema: Fazit: Minigamehölle Antwort auf: Gravity Rush 2 ist da !!! von Tux
Kurzfassung:


Lange Fassung:
Wäre ich nicht ein so großer Fan des ersten Teils, ich hätte das Spiel wohl nicht beendet. Ab einem bestimmten Punkt (was noch vor Ende des ersten Viertels gewesen sein dürfte) kam einfach die ernüchternde Erkenntnis, dass man in dem Bestreben das Spiel umfangreicher und abwechlsungsreicher zu machen, aus den Augen verloren hat, ob das Gebotene überhaupt Spaß macht und zum Gameplay-Gerüst passt. Zumal auch die Balance in anderen Teilbereichen komplett in den Sand gesetzt wurde.
Am auffälligsten äußert sich dies bei Betrachtung der Story-Missionen, also den Segmenten, die die Haupthandlung voranbringen (am Spielablauf hat sich sogesehen im Vergleich zum ersten Teil kaum was geändert). Diese sind größtenteils erschreckend kurz, spielen sich bis auf ganz wenige Ausnahmen in zu diesem Zeitpunkt schon bekannten Gebieten oder gleich der Stadt selbst ab und bieten kaum noch das Exploring, wie man es von den Rift Planes aus dem ersten Teil kannte, womit diese auch kein Leveldesign im klassischen Sinne bieten (die Rifts hier sind Mining Abschnitte und damit einfach offene Areale ohne Zielpunkt). Entsprechend schnell sind diese auch meistens abgefrühstückt, was dann oft gleichzeitig zu einer Unverhältnismäßigkeit zwischen narrativen und interaktiven Elementen führt. Dass in Gravity Rush viel gequatscht wird ist an sich nichts Neues. Allerdings hielten sich gerade in den Rifts die Unterbrechungen in Grenzen, so dass man lange Abschnitte einfach ungestört mit Spielen beschäftigt war. Im Nachfolger hat man eine Story Sequenz, kriegt anschließend eine Erklärung was zu tun ist (weil es sehr wahrscheinlich ist, dass man den folgenden Kampf mit irgendeiner Einschränkung wird bestreiten müssen - das Spiel liebt Restriktionen), macht drei Gegner platt und schon folgt die nächste Unterbrechung mit gleichem Muster. Die wenigen Abschnitte, die mit Rifts zu vergleichen wären, sind dann oft strunzlinear, kurz, haben keinen großartigen Schauwert und kommen nicht ohne Restriktionen aus, weil sie meistens dazu dienen neue Fähigkeiten einzuführen und einen dann dazu zwingen, diese (und nur diese) eine Weile zu nutzen. Ermüdend und unbefriedigend.

Dem gegenüber stehen die Nebenmissionen und Challenges. Nach jedem der Story-Segmente gilt es erstmal wieder 4-5 Nebenmissionen plus noch 1-2 Challenges zu bewältigen. Klar, zwingend ist das im Grunde nicht, da man sich auch stur auf die Story-Missionen beschränken kann, allerdings findet eben wie im ersten Teil ein Großteil der Narration und des world buildings innerhalb der Nebenmissionen statt. Zwei Aspekte, die ich dank der sympathischen Charaktere und Spielwelt durchaus als Stärke der Serie bezeichnen würde. Will man davon entsprechend nichts verpassen, ist man dazu gezwungen, sich furchtbare Minigames am laufenden Band zu geben. Und meine Fresse, ich habe noch nie ein Spiel erlebt, welches ein so großartiges Grundgerüst bietet (eben die Gravity-Mechanik), selbiges dann aber mit Restriktionen, spaßfreiem Gamedesign und nicht zum Handling passenden Aufgaben torpediert.
Ein Beispiel: wer in Gravity Rush schonmal über die Häuserdächer gerannt ist, dem wird schnell aufgefallen sein, dass das Spiel nicht gerade als Jump'n Run taugt. Zu träge und niedrig sind normale Sprünge, zu schwammig Kats Handling am Boden (dank 30fps im zweiten Teil noch merklicher) und zu ungeeignet die Geometrie (die im zweiten Teil deutlich komplexer ist) der Umgebung, da man an allem möglichen Kram hängen bleibt. Keine gute Idee also, diese Eigenschaften der Steuerung zu betonen, wenn die Stärken doch anderswo liegen? Tja, die Entwickler waren da anderer Meinung und entsprechend gibt es z. B. Nebenmissiones, bei denen man seiner Gravity-Fähigkeiten beraubt ist und von Dach zu Dach oder Flugschiff zu Flugschiff springen muss. Man scheitert bei derartigen Aufgaben - wenn überhaupt - nur selten, wenn doch nervt es allerdings ungemein, da sich diese in vielen Fällen einfach hakelig spielen, die Übersicht fehlt, zu viel störender Kram in der Nähe rumsteht, der immer noch schlechte lock-on gerade bei Enge falsche Gegner priorisiert, unsichtbare Hitboxen im Weg sind (bei Missionen, bei denen man Sachen irgendwo hin werfen muss extrem ätzend) oder schlicht auch der Missionsort trotz sogar besserer Alternativen schlecht gewählt wurde (letzteres gilt gerade für die Gravity-Slide-Rennen, für die es eigentlich etliche weite Areale gegeben hätte).
Dazu kommen die bereits erwähnten Restriktionen bei besagten Aufgaben, die Abwechslung erzwingen sollen, letztendlich aber nur dafür sorgen, dass die meisten Minigames nerven, eben auch dank der schlechten Umsetzung. Obwohl, hört sich doch sicher nach Spaß an, auf einem offenen Platz die Aufmerksamkeit von Leuten auf sich zu ziehen (indem man sich diesen nähert), damit am Ende möglichst viele hinter einem herrennen, diese aber nicht berühren zu dürfen (in Kombination mit total strangen Hitbox natürlich und manchmal direkt vor oder gar in einem spawnenden Passanten), weil sonst Restart? Oder mit Zeitlimit Möbel auf ein kleines Flugschiff packen, wobei man die Sachen mit Gravity-Grab packen muss und dann, weil sie ja random um einen herum schweben, im richtigen Moment fallen lassen muss, wobei die Kamera einem ständig die passende Sicht nimmt? Erfreulicherweise fallen mir viele Sachen schon nicht mehr ein.
Die restlichen Missionen, die nicht aus schlecht umgesetzten Geschickligkeitstests bestehen, setzen sich zusammen aus mal mehr mal weniger nervigen/langweiligen Stealth-Abschnitten - von denen es hier deutlich mehr an der Zahl sind, als noch im Erstling - und aus Eskort-Missionen, welche okay sein können, wenn das Writing eben stimmt. Auch da gibt es allerdings krasse Aussetzer wie z. B. eine Mission, bei der man einem Hund dabei behilflich sein muss, sein Frisbee zu finden und diesen dafür zu den entsprechenden Orten, an denen er suchen soll, zu sich rufen muss, während er sich dabei immer wieder von anderen Dingen ablenken lässt. Ich habe ja jüngst The Last Guardian durchgespielt und gehöre zu den Leuten, die damit eine Menge Spaß hatten und die mit Torico gut klarkamen. Diese Mission ist mir trotzdem unheimlich auf den Sack gegangen…
All in all gibt es zu wenige Missionen und Challenges, die einen einfach mal machen lassen. Ich war heilfroh über jedes Free-Style Race (die Slide Mechanik wurde btw. verschlechtert, da man idiotischerweise die Möglichkeit, sich schärfer in die Kurve legen zu können, entfernt hat) und jede Challenge, bei der ich nicht irgendwelcher Fähigkeiten beraubt wurde. Missionen ohne Einschränkung machen wirklich einen verschwindend geringen Anteil aus. Und dabei geht es wirklich um den Spaßfaktor. Schwierig ist eigentlich so gut wie keines der Minigames und die wenigsten wird man mehr als 1-3 Mal versuchen müssen. Dadurch, dass die Masse des Spiels aber aus solchen spaßfreien und restriktiven Aufgaben besteht, von denen man gerne mal auch zwei bis drei nacheinander machen darf, ist man dem Ganzen Spiel irgendwann einfach überdrüssig.

Dieser Wahn den Spieler einzuschränken und Dinge zu forcieren, denen die Entwickler bei der Umsetzung viel zu oft einfach nicht gewachsen waren, zieht sich wie oben erwähnt leider auch durch die Story-Missionen. Dabei ist vor allem die Einführung des Jupter-Tune in der Mitte des Spiels zu erwähnen, welche eine einzige Katastrophe darstellt. Für einen kurzen Abschnitt ist man dazu gezwungen, sich mit der trägen Panzersteuerung die dieser Modus liefert durch einen Tunnel zu bewegen und auch in diesem Modus stellenweise den Slide zu nutzen. Die Geometrie des Bodens ist dabei so holprig, die Steuerung so träge und Kamera dank der nervigen Auto-Korrektur so am abspacken, dass man dabei fast vollkommen der Willkür des Spiels ausgesetzt ist. Ich saß da wirklich mit runtergeklappter Kinnlade, weil ich sowas schlechtes wie diesen Abschnitt seit Jahren nicht mehr gesehen habe.
Ein anderer denkwürdiger Moment sind zwei Bosskämpfe im letzten Drittel des Spiels, bei denen melee combat forciert wird, ohne dass die Entwickler offenbar irgendeinen Plan von diesem Spielprinzip hatten. Durchschaubare Patterns sind völlige Fehlanzeige, die Hitboxen des Bosses absolut willkürlich und die meiste Zeit einfach nicht aktiv. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass man auf einen Angriff wartet, einen Konter macht und das dank lächerlichem damage output gelangweilig etliche male wiederholt. Alle anderen Fähigkeiten sind selbstverständlich wirkungslos.

Nicht nur die Balance zwischen Neben- und Story-Missionen, okayen und nervigen Aufgaben, oder Freiheit und Restriktionen ist nicht geglückt, sondern auch die Balance bei Nebenaspekten wie dem Ausbau der Fähigkeiten, welcher nicht mehr so befriedigend ist, wie noch im ersten Teil. Das liegt zum einen daran, dass man direkt zu Beginn schon auf einem guten Niveau ist was z. B. die Stamina angeht, zum anderen aber auch daran, dass gefühlt jedes weitere Upgrade schnell schon sauteuer ist, während die spürbaren Auswirkungen doch recht gering sind. Das Mining (man haut - ganz spannend! - grüne Orbs kaputt aus denen dann Gems kommen) von Gems in den Rifts fühlt sich angesichts dessen Monotonie nicht ausreichend ertragreich an und auch Dusty Tokens, die man für Foto-Reviews und Schatzsuchen erhält, bekommt man insgesamt zu wenige, wenn man bedenkt, wieviele man für das letzte freizuschaltende Extra (Kats Kostüm aus dem ersten Teil) braucht und wie selten sich die Gelegenheit für selbige ergibt. Ich hatte am Ende knapp 800 Dusty Tokens nach einer Spielzeit von fast 50 Std. Das Kostüm als letztes freischaltbares Extra kostet iirc 5000 Tokens. Sehr motivierendes Belohnungsprinzip! Für ein lächerlichs Kostüm mach ich doch gerne nochmal 15 Std. sinnlosen Crap!1
Auch die Struktur der Map ist imo nicht mehr so gut wie im Erstling, da die einzelnen Gebiete zu weit auseinander liegen und die Dialogoptionen und Missionen immer recht willkürlich in allen Gebieten verstreut sind, was darin resultiert, dass man sehr viel Leerlauf hat bzw. Zeit damit verbringt, von A nach B zu fliegen. Dank der Ladezeiten, bei denen von 7-25 Sekunden alles dabei sein kann (was nebenbei Neustarts bei Missionen und Challenges auch nerviger macht, als sie sein müssten), ist es dann trotzdem auch nicht immer die bessere Alternative einen Teleporter anzusteuern.

Einfach schade und ärgerlich, da man sich fragen muss, ob es der Serie nicht besser getan hätte, hätte man nicht gemeint vermeintlichen aktuellen Standards beim Umfang genügen zu müssen. Einen Nachfolger in dieser Form bräuchte ich selbst jedenfalls nicht und ein kürzeres Spiel mit weniger bullshit hätte mir sehr viel besser gefallen.
Zumindest die Handlung vom ersten Teil wurde aber bei GR2 immerhin aufgegriffen und imo auch befriedigend abgeschlossen. Wenn natürlich auch erst im allerletzten Abschnitt.

***Diese Nachricht wurde von strid3r am 24.02.2017 20:44 bearbeitet.***
< Auf diese Nachricht antworten >