membran  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 11.10.2016 22:40 Uhr
Thema: Wegen Motion Sickness. Etwas länger. Antwort auf: Re:Jimquisition: Virtual Real Talk von Don Cosmo
>Ist nicht genau die Frage nach einem inhärenten Problem der Motion Sickness bei den aktuell angestrebten Konzepten der Knackpunkt? Für Railshooter, Rennspiele und FlightSims stelle ich mir VR toll vor und so beschreiben es Jim wie auch membran. Irgendwo brav aufgeräumt sitzen und nicht großartig hin-und-her wackeln, nicht ein halbes Zimmer dafür umrüsten müssen, dann funktioniert das für die breite Masse wie mich.

Wobei Renn- und gerade Flugspiele auch schnell Motion Sickness hervorrufen können. Das Cockpit als fester Referenzpunkt hilft (im Gegensatz zum "freien" Herumlaufen, wenn man quasi die nackte Kamera als Egosicht spielt), dass es tendenziell geradeaus geht, hilft - aber der Knackpunkt sind die Beschleunigungs- und Drehkräfte ohne Körper-Feedback. Und noch schlimmer wird es bei manchen, wenn du plötzlich bewegt wirst, ohne das selber per Knopfdruck ausgelöst zu haben. Das schließt auch "3rd Person" Kamerafahrten mit ein, leider.

Bei Rennspielen ist es nicht nur das Beschleunigen/Bremsen/Lenken, sondern auch die Art und Weise, woran die "Kamera" fixiert ist, auf das Auto oder den Horizont. Das kann man meist in den Optionen umstellen. In einem echten Auto kannst du z.B. über eine holprige Straße brettern und der Gleichgewichtssinn im Innenohr sorgt dafür, dass der Blick auf die Straße trotzdem "klar" bleibt und nicht hoch und runter durchgeschüttelt wird. Wenn die virtuelle Kamera dieses Auf- und Ab mitmacht, der Körper aber logischerweise still steht, dann ist der Blick auf die Straße nicht nur "durchgeschüttelt", sondern dann kommt bei vielen Leuten deren Innenohr auf ganz dumme Ideen. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich es bei Dirt Rally gerade eingestellt habe und vom Video her wirkt es so, als hätte ich die "hardcore" Einstellung drin ("lock to car"), aber das muss nicht repräsentativ sein. Ich schau nochmal nach... jepp, "hardcore".

Bei Flugspielen mit Loopings und Barrel Rolls dürfte der Effekt ja selbsterklärend sein. Aber ich scheine da mittlerweile ziemlich abgehärtet, mir macht auch rumlaufen (und umsehen) mit dem Pad nicht viel aus. Es mag nicht "massenmarkttauglich" sein, aber einige können sich an VR, sollten sie Motion Sickness Probleme haben, "herantasten" und irgendwann kann man es dann ganz gut ab. Wichtig ist hierbei, es in ganz kleinen Dosen zu machen. Nicht "über" den Hügel kämpfen, wenn einem erst schlecht ist, ist der Punkt, an dem man hätte aufhören müssen, schon laaange vorbei. Und VR Sickness ist Sobald einem komisch wird, sobald man anfängt zu schwitzen, obwohl einem nicht warm ist - Brille ab. Pause, frische Luft. Es geht, bei vielen, aber bestimmt nicht bei allen. Aber nicht jeder ist überhaupt dafür anfällig, der eine mehr, der andere weniger. Als Kind ist mir z.B. im Auto oder Bus schlecht geworden, wenn ich auf dem Rücksitz gelesen habe. Das kann man sich antrainieren; glaube, dass Leute, die Seekrank werden, sich dagegen auch abhärten können.

Ich muss bei Gelegenheit auch noch mal Adrift ausprobieren. :)

>Aber stehend oder gar auf einer dieser komischen Plattformen rumschlurfend ([http://www.virtuix.com/]) will ich das nicht.

Dieser Laufstall ist ja auch völliger Blödsinn. Es ergibt wenig Sinn, WASD / linken Analogstick mit sowas zu ersetzen. Da kann man auch nicht wirklich natürlich drin laufen, sondern schubbelt mehr die Füße an den Wänden. Die Idee dafür ist noch aus den Kindertagen des ersten Oculus Devkits und ich dachte, das Project wäre schon längst über den Jordan, aber anscheinend ja nicht. Also das ist wirklich Nische in der Nische. Wahnsinn, dass sie in dem Messevideo (CES 2016 war Anfang Januar, haben die nix Neueres?) vor allem Werbung mit einer Art Multiplayershooter machen; viel Spaß, da andere Irre online mit so einem Setup zu finden. :)

>Ist aber für viele Titel notwendig, damit einem nicht schwindlig wird oder die VR-Illusion überhaupt besser wird als der TV.

Aber das Konzept von RoomScale wie beim Vive ist erstmal schon ziemlich krass. Mal angenommen, du würdest dich aufraffen können, dich beim Zocken zu bewegen und hast genug Platz. Du bewegst dich halt in "echt" in der virtuellen Welt, oder besser gesagt in einem sagen wir 3x3 Quadrat der Welt. Kannst dich in diesem Bereich frei bewegen, hinhocken, hinlegen, umgucken wie du willst und mit den Controllern mit Zeug interagieren (und das Tracking von deiner Position und Höhe, sowie die der Controller ist *astrein* und quasi verzögerungsfrei, kein Vergleich zu Kinect und WiiMote, das ist ganz wichtig zu verstehen hierbei - sui hat mit seinen Controller "blind" jongliert). Du fühlst dich durch das "Chaperone" System, was dir beim Näherkommen die Grenzen der Play Area Tron-mäßig über die Spielwelt legt, innerhalb von zwei Minuten absolut sicher und springst "blind" durch dein Zimmer, ohne zu zucken. War bei mir so, war bei meiner Freundin so, war bei den Leuten so, denen ich das Ding vorgeführt habe. Ist so.

Dadurch, dass du dich selber bewegst, mit deinem deinen echten Körper also für Fortbewegung in der virtuellen Welt sorgst, geht die Gefahr für Motion Sickness bei vielen ganz stark zurück. Im gleichen Maße scheint das Hirn kein Problem damit zu haben, "teleportiert" zu werden, wenn du also selber eine Stelle mit den Controllern aussuchst, drauf zeigst und dich da selbst (und damit auch deine neue 3x3 Playarea) hinteleportierst. Das schließt übrigens auch einen anderen "Trick" mit ein, den manche Spiele nutzen: das Teleportieren auf der Stelle, aber eben bei gleichzeitiger Drehung des Blicks um 45 oder 90 Grad. Wenn du also auf Knopfdruck dich "ruckartig" um 45/90 Grad drehen lässt. Das Teleportieren wird meist bei Vive Games verwendet, die Rift Games (wegen derzeitiger Pad-Bindung) nutzen zusätzlich noch meist dieses ruckartige Umschauen als "comfort modus", gestern erst in Minecraft im Rift gesehen. "Hardcore" geht oft optional auch.

Bei meinen Testpersonen kamen keine Klagen dahingehend, wenn sie Roomscale und mit Teleport unterwegs waren. Bei von "fremden Kräften" eingeleiteten Bewegungen (wie Bewegung durch Joystick, auch Beschleunigung im Rennwagen fällt darunter), oder "flüssigen Drehungen um die eigene Achse" per Joystick sah das ganz anders aus. "Hui, komisches Gefühl!".

Ob man die derzeitigen Roomscale-Spielkonzepte ansprechend und auf längere Zeit unterhaltsam findet, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

>MotionSickness ist nach meinem Verständis keine Kinderkrankheit, die man mit Technik rein in der Brille erschlagen kann.

Mit dem DK2 war "low persistence" mal so ein Schlagwort, was erst mit dessen 75hz Display Einzug hielt ([https://vrwiki.wikispaces.com/low+persistence]). Das hat was mit Nachziehen oder Nachglühen der Pixel zu tun gehabt. Ein Grund für Motion Sickness in den Oculus Devkits waren ruckliges, schmierendes oder - ganz schlimm - verzögertes / nachziehendes Umschauen oder auch Fortbewegung, wenn die Framerate nicht wollte (die damals auch noch beim DK1 60fps, dann 75fps im DK2 waren; heute sind es 90fps, auf jeweils entsprechenden nativen Hz-Displays) oder aufgrund von Beschränkungen der Displays selber (iirc). Die ganzen Techniken wie Low Persistence, Asynchronous Timewarp und nun, ganz neu und spektakulär, SpaceWarp, haben ruckliges, schmierendes oder verzögerndes Umschauen und Fortbewegen quasi eliminiert - selbst *wenn* der PC mit den 90fps nicht hinterherkommt. Magic. Zumindest ATW und ASW sind aber Techniken, die treiberbasiert sind und für die sie die Renderpipeline in Zusammenarbeit mit Microsoft, Nvidia und AMD neu verlegen mussten, also weniger mit der "Technik in der Brille" zu tun haben. Jedoch dürfte die "Direktheit" des Trackings, die schnelle Abfrage von aktuellen Positionswerten und überhaupt das Positional Tracking auch als Teil der "Brillentechnik" bezeichnet werden. Gerade Positional Tracking (im DK1 konnte man sich nur umschauen, nicht nach vorne/hinten und zu den Seiten lehnen!)  dürfte die Gefahr für Motion Sickness ein Stück weit reduzieren, weil man sich damit dann auch im Sitzen z.B. leicht anders hinsetzen oder generell ein wenig bewegen kann und diese Bewegung in VR abgebildet wird (siehe mein Spiegel-Video weiter oben, das war im Sitzen). Im DK1 war das schon etwas seltsam, dass die Kopfposition in der virtuellen Welt komplett unverändert blieb, wenn man z.B. blind nach der Tastatur kramte. Ein weiterer Disconnect zwischen wirklichen Tun und Sehen, was zu Übelkeit führen kann, auch bei kleinen Bewegungen; vor allen, wenn man seinen Körper wirklich bewegt, aber die Bewegung nicht sieht (und nicht andersrum, wie es sonst der Fall ist).

Außerdem spielt das FoV auch eine Rolle. Man darf nicht vergessen, das allererste Oculus Devkit hatte das größte FoV von allen Headsets bislang. Und die Kotzrate war da ziemlich hoch. Ich bin selber einmal kotzen gegangen. Ich könnte mir vorstellen, dass der oftmals gescholtene "Taucherbrilleneffekt", den wir mit den aktuellen Headsets haben, auch seinen Anteil an verminderter Motion Sickness hat, weil er dem Hirn ein letztes Stück "Halt" bietet, unterbewusst mitzubekommen, dass das Gesehene nicht komplett real ist (gleichzeitig filtert das Hirn den Rand aber ganz gut raus, sofern man sich auf die Bildmitte konzentriert und die Ränder mal eine Minute versucht zu vergessen - so ähnlich wie Brillenränder oder deine Nase, die dir ständig im Blickfeld hängt). Und wie wir ja von meinem FoV-Thread gelernt haben, sorgen schnelle Bewegungen an der Peripherie für höheres Geschwindigkeitsgefühl; da die schwarzen Ränder die Peripherie einschränken, stellt sich vielleicht auch weniger Motion Sickness ein, und Bewegungen wirken nicht ganz so rasant. Manche bauen sich ja auch so LEDs in die Seiten ein und steuern die entsprechend per Treiber an, um diese Bewegungen zu simulieren ([http://www.moddb.com/news/microsoft-engineers-increase-oculus-rifts-field-of-view-with-leds]), da braucht man wie gesagt nur Bewegung in den halbwegs passenden Farben zur Szene, nichts exaktes, um die Illusion besser zu machen.

Aber das DK1 hatte die ganze tolle ATW & co Technik nicht, und die GPUs&CPUs waren schlechter damals. Mich würde interessieren, inwieweit ein größeres FoV sich negativ auf Motion Sickness Anfälligkeit auswirken würde. In dem Sinne wäre hier ein Rückschritt (engeres Sichtfeld) ein Vorteil (man kotzt nicht). Und das derzeit geringere FoV in den Release-Headsets absichtlich gewählt wurde, weil massenmarktkompatibler als die Enthusiasten-DevKits. Ich hoffe, dass dem nicht so ist, weil ich natürlich in hoffentlich kommenden VR-Generationen ein größeres FoV haben will. In der 5 Year Prediction auf der Oculus Keynote vom Wochenende sprachen sie ja u.a. von 140 Grad FoV (derzeit 90-100), fetterer Auflösung aber dennoch verhältnismäßig geringem Render-Load, weil sie perfektes Eyetracking haben wollen, um so nur punktuell einen kleinen Bereich scharf zu rendern, während 90% des Restbildes nur als Blur gerendert wird, Depth of Field effect inklusive.


>Wenn Dir eine Welt vorgegaukelt wird, in der Du Dich ducken und drehen und mit den Armen fuchteln musst, dann braucht das Gehirn ein körperliches Feedback. Gibt es das nicht, wird vielen zwangsläufig schwummrig.

"Fuchteln" klingt mir zu sehr nach Wii Remote. Ich habe mit dem Vive nie gefuchtelt. Klar gibt es da Spiele wie diese Schwert-Dungeon-Game, wo man die Gegner wegfuchteln kann. Aber die Vive Controller sind so verblüffend präzise, dass man sie eher als (klobige) Hände wahrnimmt und Dinge in VR eher gezielt manipuliert, als damit rumzufuchteln. Wenn die derzeiten Roomscale-Spiele die Scale anpassen und den Aktionsraum auf 180 Grad (wie der Fantastic Contraption Dev mit seiner "Table VR" Version des Spiels), dann könnte ich mir schon vorstellen, dass das auch im Sitzen ganz ok sein kann. Aber Sterling hat schon recht, es ist ein Revival von Motion Controls (mit teils ähnlich dürftigen Ansätzen); man muss aber auch so fair sein, zu erwähnen, dass diese Motion Controls aber das eben sind, was damals von Wii/Kinect versprochen wurde und nicht eingehalten wurde. Latenzfrei und präzise.

Für mich ist ja VR immer mehr 1st Person, aber einige mögen ja auch 3rd Person VR Games (wo man im Endeffekt den Blickpunkt der Kamera von Lakitu in einem Mario 64 einnimmt und sich frei umsehen kann), wie Lucky's Tale oder BlazeRush. Das sind dann auch Spiele, die astrein mit dem Pad funktionieren. Du schreibst ja oben "Ist aber für viele Titel notwendig, damit einem nicht schwindlig wird oder die VR-Illusion überhaupt besser wird als der TV", bei diesen Titeln sitzt man, mit Pad in der Hand und man ist halt trotzdem "mit drin" in der Welt; die Welt ist plastisch, man kann sich darin umschauen, es ist 3D. Die Illusion ist stärker als beim Betrachten derselben Szene am TV (wenngleich auch niedriger aufgelöst, nunja), aber gleichzeitig ist diese 3rd Person Sicht, wenn man selber eine körperlose Kamera in der Welt ist und den Charakter fernsteuert wie ein Rennauto, für mich schwächer als wenn man in einer 1st Person VR-Darstellung in diesen Charakter reinversetzt wird. Aber auch in dieser 3rd Person Darstellung wird einigen Leuten schlecht, weil das Spiel die Kamera, und damit den Spieler, auf eigene Faust bewegt, um z.B. mit einem VR-Mario Schritt zu halten.

Trotzdem, nach einigen Jahren (nicht durchgehender!) VR-Usage steht für mich fest: Cockpitgames mit passender Steuerungshardware machen mir am meisten Spaß in VR.

>>Erinnert sich jemand an Sachen wie das Mega CD? Oder frühe Polygonalgrafik? Da haben die Leute haargenau das selbe gesagt.
>
>Was soll das genau gewesen sein, das nun Parallelen zu VR aufweist?


Ich habe langsam keine Lust, noch mehr mehr zu schreiben, aber dazu würde mir spontan einfallen (und ich hatte es auch schon an anderer Stelle mal ausführlicher fallenlassen), dass VR eine komplett eigene Gamedesign-Regeln braucht, was Genres, Konzepte, User Interface, Ladezeiten, unvermittelte Cutscenes und Szenenwechsel, Feedback, Fade to Black/White (ich hasse beides in VR!) und und und angeht. So wie die ersten 3rd Person 3D Jump and Runs Kameraprobleme hatten (und laaaange Zeit hatten, ich erinnere an die verstrichene Zeit zwischen Mario 64 und Super Mario Sunshine; in letzterem wurde über die Kamera doch immer noch geschimpft?), also wie das Steuern der Kamera von statten gehen soll, was passiert, wenn die Kamera in der Wand verschwindet oder Objekte die Sicht großflächig verdecken, und natürlich die Gewöhnung der Spieler an diese nach und nach gefundenen und akzeptierten Steuerungs-Konventionen (rechter Analogstick = Kamerabewegung; Knopf für Zentrieren). Das und vieles mehr muss erst rausgefunden werden, was funktioniert und was nicht und wie, was gut ankommt und was nicht, so wie bei früher Polygonalgrafik.

Das Gleiche gilt auch für Spielkonzepte. Sui hat iirc argumentiert, dass viele VR Spielchen ihre ein, zwei guten Ideen haben (nicht nur das Gameplay, sondern auch UI & co betreffend), aber insgesamt jetzt nicht der Hammer sind. Aus genügend solcher gelungener Experimente geht dann irgendwann der erste dicke VR-Brummer Marke Mario 64 oder was weiß ich hervor, so sui. Keine Ahung, ob das so kommen wird, es bleibt auf jeden Fall zu hoffen. Dass einige Entwickler lieber erstmal bekannte TV/Monitorkonzepte auf VR übertragen, oder generell ein gewisses Copycat-Klontum herrscht, bei dem neue Releases dem Trend / den Ideen der vorherigen erfolgreichen VR-Releases hinterhecheln / imitieren, statt was komplett Neues (und damit risikobehafteres?) zu entwerfen, sollte erstmal nicht überraschen. Wobei bei dem VR Zeug schon extrem viel experementiert wird, nicht umsonst wirft man dem ganzen Softwareangebot diesen gewissen Tech-Demo-Geruch vor.


Nicht Korrektur gelesen, weil keinen Bock.
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