Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 08.03.2016 18:05 Uhr
Thema: Re:Ich kann es nicht einfacher & freundlicher erklären. Antwort auf: Re:Ich kann es nicht einfacher & freundlicher erklären. von Don Cosmo
Der Punkt ist letztendlich folgender: Die Art, wie Spiele finanziert werden, hat sich in den letzten zehn Jahren radikal geändert. Durch die gestiegenen Kosten mussten viele ehemalige AAA-Publisher wie THQ dichtmachen. Es existieren, wie im Film, nur noch zwei Extreme: Titel, die mit dreistelligen Millionenbudgets arbeiten können/müssen, und Indies. Dazwischen gibt es nichts. Keine "mittelgroßen" Spiele. Das hat besonders Japan schwer getroffen. Deren sehr konservative, sich an Großunternehmen ausrichtende Spieleindustrie bzw. deren gesamtes Wirtschaftssystem macht für uns so selbstverständliche Dinge wie eine Firmengründung oder die Kapitalaquise sehr schwer. Entsprechend mühselig sind Investitionen, aber das führt hier zu weit.

Wie finanziert sich ein Spiel? Die Frage stellt sich für Bungie, die für ActiBlizzard Megacorp schön im de-facto Pay2Play-Steinbruch buckeln müssen bis sie quietschen grundlegend anders als für einen Kleinunternehmer wie den Dude hinter No Mans Sky. Diese Sachlage hat verschiedene Aspekte; der Ast fing an mit dem der Preisgestaltung ("Wus?! Indies dürfen nicht so viel kosten wie AAA-Titel!"), was eine andere Diskussion ist, auf die ich grad einfach auch wegen des Aufwands keine Lust habe.

Der Preis eines Titels lenkt aber vom eigentlich interessanten Teil ab, nämlich der grundsätzlicheren Frage, was ein "Titel" denn nun ist. Was ist ein Spiel? Ist das eine Early-Access-Alpha, wo du ein paar Polygonmodelle umkreisen kannst, für die aber bereits 30 Euro gelöhnt hast? Sind die ersten zwei Folgen eines in episodischer Form releasten Spiels bereits "ein Spiel"? Ist die Battlefield-Basisversion ohne Season Pass ein vollwertiges Spiel, oder nicht doch die Ultra Deluxe Premium Gold-Version, die nochmal 70 Euro extra kostet, und mittlerweile nichtmal das.

Wir haben hier, an diesem schönen Ort, die Diskussion über Horse Armor geführt seinerzeit. Es sei einem verziehen, wenn er da noch nicht ahnen konnte, was das alles noch für Züge annehmen würde, manche von denen erträgliche Übel, sehr viele von denen juristisch sehr fragwürdige Zumutungen.

Es nutzt daher der Industrie, die in mancherlei Hinsicht legitim geprügelt ist, da sehr, dass solche Sachen wie das Verbraucherrecht bei Digitalkäufen rechtlich nicht eindeutig geregelt ist. Einen Season Pass kann man nicht mehr zurückgeben. Gekauftes Gold oder UbiPoints oder Unlock-Süßis für Destiny: Mitgehangen, mitgefangen. Warum sollten wir da was zurückzahlen müssen, von wegen immaterieller Wert? Ausschlusserklärung abnicken lassen, feddich!
Wie sieht es bei Kickstarter aus? Ich will nicht urteilen und sagen "So und so muss das aussehen", aber es sind Bereiche, bei denen manche Entwickler so verzweifelt auf der Suche nach Geldquellen sind, dass sie sich da so einem rechtlich zumindest heiklen Eiertanz ausliefern, Häme und negatives Feedback der geifernden Massen natürlich noch gratis obendrauf.

Aber muss die Lösung dann so aussehen wie EA das bspw. macht? Spiele ohne Microtransactions releasen und wenn die Reviews gepublished wurden dann nachreichen? Muss man es so machen wie bei Destiny, wo man zwar einen "Season Pass" anbietet, aber bewusst nebulös lässt, wie lange so eine Season eigentlich dauert, sowohl vom VÖ-Zeitraum kalendarisch als auch vom Umfang des Contents? Nicht alle Entwickler sind Ehrenmänner wie CD Projekt Red, von denen bekannt ist, dass sie auch mal 30-Stunden-Content-Addons gratis nachgereicht haben und Digital- wie Physischen Käufern immer gern Zückerchen gaben, die auch was wert waren (Preorder-Preisersparnis zumindest im US-PSN von über 15 Euro, also ein signifikanter Nachlass und in dem Umfang einmalig für ein AAA-Konsolenspiel in der speziellen Store-Platform), die meisten sind einfach dumme Säue. AAA geht da vorweg. Der Season Pass vom Singleplayerspiel Arkham Knight war fast so teuer wie das eigentliche Spiel. Die größten Zugpferde im Konsolenmarkt, CoD und Battlefield, bieten total intransparente "Bundles" mit vier verschiedenen Premium-, Gold-Premium- und Master-Ambassador-Titan-Platinum-Version gesplitteten Stufungen aus Season Pass und Preorder-Bonus an, dass man schon keinen Bock hat sich damit zu beschäftigen wenn man deren Seite im Store sieht.

Mittlerweile ist es vom Publikum als akzeptiert anzusehen, für ein Spiel um die 140 Euro zahlen zu müssen. Unter 100 Euro brauchst du bei Release eines großen Titels gar nicht mehr anzufangen. Ausnahmen sind EXTREM selten. MGS5 hatte keinen Season Pass, weil's halt Kojima Studios danach nicht mehr gab (bzw. kurz davor schon nicht mehr wirklich). Fallout 4: 70 euro fürs Spiel, 30 für den Season Pass. Das ist der Standard, bei Singleplayer-Spielen, wie The Witcher oder Bloodborne. Bei Multiplayertiteln darf man als Kunde davon ausgehen, dass man für seine 70 Eier im Grunde eine Eintrittskarte für eine Online-Multiplayer-Umgebung kauft. Wie zukunftsträchtig so ein Modell in Zeiten von F2P-Megatiteln wie LoL ist, merkt man an der Verzweiflung, mit der innerhalb dieser spiele versucht wird, auch noch mit Micropayments für Monetarisierung zu sorgen. Du hast dir das neue Rainbow Six geholt und hast die Wahl, entweder 50+X Stunden lang wie ein Bauer prestige zu grinden oder nochmal 50 Eier zu latzen um alle spielbaren Chars und Waffen freigeschaltet zu haben wie ein feiner Herr.

All das sind in der Regel Zahlungen für Dinge, über deren Wert man meinetwegen gern streiten kann, bei der aber eine Sache Fakt ist: Das der Content, für den man bezahlt hat, noch nicht existiert und man ergo auch keinen Zugriff auf diesen Content hat, und das so lange, bis der Anbieter sich mal dazu bequemt, ihn zu veröffentlichen. Und selbst dann kann er bis dahin einem das blaue vom Himmel versprechen, wird halt kurz ein paar Tage gemault, aber am Ende zocken die Leute es eh, "weil's halt geil ist". Worüber ich mich nicht erheben will; ich halte das ja genauso und hab auch membran gesagt, dass er sich nicht so einpissen soll wegen der Base Insurance in MGS5. War ja auch nicht so schlimm. Aber nicht alle sind so inkompetent wie Konami.

Ich finde es völlig okay, wenn für NMS 60 Euro verlangt wird. Meinetwegen sollen sie 100 Euro verlangen. Versuch macht Kluch. Diese Debatten werden von Leuten geführt, die die NeoGeo-Preise noch mitgemacht haben oder zumindest noch um deren Höhe wissen. Wenn sich Leute finden, die da Bock drauf haben, wirds ab ner bestimmten kritischen Masse gemacht. Auf PC gibts Titel, deren DLC insgesamt mehr kostet als mancher fabrikneue Kleinwagen.

Das Problem ist, dass wir den großen Zugpferden des Marktes lessez faire einräumen, immer invasivere Kundenbindungsmethoden zu betreiben. Realistisch betrachtet: Wenn man viel bei Amazon bestellt, öfter mal gerade kleinere Sachen im Preisspektrum 10-20 Euro, für die lohnt sich ein Prime-Abo effektiv. Was wäre ein PS+Abo wert, wenn es die Gratis-Spiele nicht gäbe? Ohne das auch die Gratis-Spiele nichts wert wären? Online-Gaming selber ist so kostenintensiv nicht; besonders wenn man Serverstrukturen offener handhabt (Was man aber nicht will, weil man dann widerum die Monetarisierung ausser Kraft setzen würde; bei manchen Sachen wie WoW natürlich völlig nachvollziehbarerweise) bspw. Aber auch sonst. Counterstrike ist als Mod gestartet. Seit wann hat das überhaupt richtig kommerzielle Server? Genauso DotA. Gut, beide Spiele mögen für dich böhmische Dörfer sein, aber so hinterm Mond kannst du nicht leben, dass dir deren Größe entgangen wäre.

Diese Spiele würden nicht existieren in einer Welt, in der Spiele sich aus Finanzierungsdruck gegen Erweiterbarkeit abriegeln müssen; damit keine Community eine Killer-App 4free aus dem eigenen Produkt zaubert, für das man selber noch Season Passes verkaufen will.

Und dieses Streamlining, diese Abriegelung nach aussen, dieses Herstellen von Hermetik, drückt sich in Preorder-Bonussen aus. Natürlich gibt es ein legitimes Interesse der Hersteller, ihre Spiele zu refinanzieren. Aber die dafür eingesetzten Methoden und die Instrumentalisierung der sprichwörtlichen Konsumgeilheit ihrer Zielgruppe sind mindestens unlauter und ein "slippery slope". Wenn die Finanzierungsspannen immer größer werden; wenn am Ende im Grunde nur Hype und damit Luft in Tüten verkauft wird, ist das nicht gesund für die Industrie. Wenn ein Klima geschaffen wird, in dem sich immer und immer wieder Kundenprotest bildet, weil Anbieter simpelsten Ansprüchen an ein fertiggestelltes Videospiel nicht nachgekommen sind, schadet man sich nur selbst. Die Spieleindustrie ist ein Junkie, der Geld anstelle von Heroin geil findet, und wir sind ihr koabhängiger Lebenspartner, der entweder die Wahl hat, aufzuhören, ihr Heroin zu geben und dafür inkauf zu nehmen, dass es die nächsten Tage etwas ungemütlicher daheim wird, oder einfach weiter reinzubuttern und den Status Quo zu akzeptieren, weil man sich nichts anderes vorstellen kann oder will.

Denn wenn die Industrie merkt, dass sie nicht mehr einfach so Heroin bekommt, ohne dafür arbeiten zu müssen (Es ist eine Metapher! Bitte nicht ankommen und erzählen, ich würde direkt darauf abzielen, das Spieleentwickler faul seien. Seufz.), dann kriegt sie vielleicht auch den Arsch hoch und erkennt den Wert von extrem polierten Produkten, die einfach funktionieren und geil sind.

Stichwort Indies. Ein Spiel wie Gone Home oder Superhot ist etwas, von dem 90% der Käufer vor Release nie etwas gehört haben. Rechnet man einfach kühl den Geld-Zeit-Gegenwert eines Gone Homes gegen das von Xenoblade Chronicles X auf, stellt man fest, das eine Stunde Gone Home vier Euro kostet, eine Stunde Xenoblade X für mich mittlerweile 80 Cent oder so, Tendenz mit steigender Spieldauer natürlich fallend.

Ein Indie kann froh sein, wenn es vor Release ein bißchen Hype hat, die meisten haben das nicht. Dieselbe Problematik wie sie Mobile-entwickler in ihren jeweiligen Appstores haben, jeder ist ein kleiner Fisch im Wasser. Die Leute können es sich noch weniger leisten, scheiße zu bauen. Sie sind vielmehr zu ausserordentlicher brillianz gezwungen.

Und man schaue sich an, was dabei rauskommt. Ich bin mir sicher, das Superhot brilliant ist, und wenn man es in zwei stunden durchzockt hat man zehn euro pro stunde gezahlt. Und man liebt es trotzdem. Weil es einfach geil ist. Nicht auf diese Grinder-"Ich liebe meine Zwangsarbeit"-Schiene, sondern schlicht und ergreifend geil. Evtl. würde sich Superhot auch für 30 Euro nicht schlechter verkaufen. Eventuell würden Leute für einen Superhot-Season-Pass zahlen.

Aber solche Gedanken kannst du dir gar nicht erlauben; du bist zu ganz anderen Sachen gezwungen als über wie viele Wochen nach Streetdate du immer noch Cashflow hast usw.

Und das scheint, wunder oh wunder, auch zu klappen. Man verdient damit vielleicht keine drölf trilliarden wie Activision mit Destiny, aber auch bei Indies, die vorher keiner kannte und die nicht schon drei Monate vor der Hochzeit den Ring anstecken mussten wie in diesem einen Lied von Beyonce scheint es ja zu klappen, Sachen herzustellen die Leuten große Freude bringen, überraschen und jubeln lassen.

Niemand musste einen großen Kotau vor den Leuten machen, die Rocket League produziert haben, und jetzt alle paar Wochen ein paar egale Cosmeticpacks für den Preis von ner Schachtel Kippen verkloppen. Wer's braucht, mei. Es lässt sich immer ein weg finden, das für alle Seiten erträglich zu gestalten. Aber das wird verschwinden, wenn man von Kundenseite auch sagt "Bitte, gib's mir, und zwar rischtisch, ganz egal wo".
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