Link  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 01.06.2018 18:09 Uhr
Thema: Sammelantwort Antwort auf: Die Buchpreisbindung kann weg von Sascha
Erst mal vorneweg: Ich arbeite selbst in der Branche, bin aber weder im Verlag angestellt noch Autor noch Buchhändler, habe allerdings im Studium in verschiedenen Buchhandlungen gejobbt und danach auch kurz in einem großen Publikumsverlag gearbeitet.

Und gleich noch eine Anmerkung: Das soll natürlich nicht heißen, dass nur ich Ahnung habe und deswegen eine Meinung zum Buchmarkt haben und kundtun darf. Nicht dass das falsch rüberkommt.

Okay, also ...


1. Beitrag mittelständischer Buchhandlungen zur Kulturlandschaft

Damit habe ich nicht in erster Linie gemeint, dass man in vielen Läden inzwischen auch Kaffee trinken kann (übrigens längst nicht in allen), sondern vielmehr die Durchführung von Autorenlesungen etc. - die finden gerade in kleineren Städten, die sowieso nicht mit einem Überangebot an Veranstaltungsorten gesegnet sind, vorwiegend in solchen Geschäften statt. Gleichzeitig stimmt es aber natürlich, dass Buchhandlungen auch Begegnungsstätte sein können, ein Ort zum Austausch mit Gleichgesinnten (und wenn es „nur“ die Buchhändlerin selbst ist), gerade wenn im Bekanntenkreis nur noch wenige Menschen lesen und der Großteil stattdessen Serien guckt.

Außerdem ist jeder öffentliche Raum, in dem man in Kontakt mit Büchern treten kann, meiner Meinung nach ein Gewinn - das schließt selbstverständlich auch Büchereien ein. Aber auch in einer Buchhandlung können gerade Kinder den Zauber der Bücher für sich entdecken; verschwinden diese Räume, fällt eine Gelegenheit dafür weg.

Und schließlich können Buchhändlerinnen durch ihre Arbeit durchaus einen Beitrag zur Verbreitung guter Bücher (wie auch immer man das definieren mag) leisten. Die Kunden rennen eben nicht immer nur zur Bestsellerwand oder verlangen den neuesten Hirschhausenscheiß, nein, viele fragen tatsächlich, ob man ihnen etwas empfehlen könne, aus einem bestimmten Genre oder etwas Ähnliches wie XYZ, das ihnen sooooo gut gefallen habe, und wer sein Handwerk versteht, hat für solche Fälle immer ein paar aktuelle und weniger aktuelle Titel in der Hinterhand, die einem meistens selbst wirklich gut gefallen haben, denn nur dann kann man sie überzeugend anpreisen. Selbst in meiner kurzen Zeit im Buchhandel konnte ich auf die Art ein paar schöne Bücher unter Leute bringen, die sie sonst vielleicht nie gekauft hätten. Das bereitet Freude, und es trägt dazu bei, dass eben nicht nur der Quatsch gelesen wird, der tatsächlich oft die Bestsellerlisten dominiert.

Klar, nun kann man sagen, dass Leute, die Buchhandlungen aufsuchen, ja eh schon total kultiviert seien, um die gehe es deshalb ja gar nicht, aber sorry, jeder Leser ist wichtig, gerade wenn er sich seinen Lesestoff bewusst aussucht, statt immer nur das gleiche Zeug wegzulesen. Und hin und wieder verirrt sich sicherlich doch mal ein Mensch, der schon länger kein Buch mehr in die Hand genommen hat, in eine Buchhandlung, einfach weil er gerade an einer vorbeikommt und Zeit übrig hat, und wird auf die Weise wieder angefixt.


2. Ist es sinnvoll, das Medium Buch im Gegensatz zu anderen besonders zu schützen?

Also zunächst würde ich behaupten, dass auch Musik, Theater und Film teils massiv staatlich gefördert werden, nur eben nicht durch eine Preisbindung.

Außerdem haben Bücher meiner Meinung nach in der heutigen Medienlandschaft einen besonders schweren Stand, weil ihr Reiz kaum auf die Schnelle vermittelbar ist - guckt euch mal diese bemühten „Trailer“ zu neuen Möchtegern-Bestsellern an! Auch deshalb tun sie sich im allgemeinen Aufmerksamkeitswettbewerb schwerer als andere Produkte, die mit ihnen um die Zeit der Konsumenten konkurrieren. Für mich persönlich ist das ein Argument, sie besonders zu schützen. Sicher, man kann auch für survival of the fittest media plädieren. Darauf wird es langfristig vielleicht sowieso hinauslaufen. Muss jeder für sich selbst entscheiden.


3. Die Verlage bekommen zu viel, die Autoren zu wenig.

Ich weiß nicht, ob allen bewusst ist, wie so eine Buchkalkulation aussieht. Dazu mal ein Link (übrigens weise ich ausdrücklich auf die kritischen Kommentare zu dem Blogeintrag hin - es gibt natürlich immer zwei Seiten):

[https://www.voland-quist.de/verlagsblog/buchkalkulation-was-verdienen-autor-und-verlag-an-buchern/]

Oder anders gesagt: Ich glaube, den wenigsten Leuten ist klar, wie wenig Geld eine durchschnittliche Buchveröffentlichung einbringt. Angenommen, von einem Taschenbuch werden 8.000 Exemplare abgesetzt - das wäre schon recht ordentlich! -, dann ergibt das bei einem Stückpreis von 10,- Euro einen Gesamterlös von 80.000 Euro. Okay, da habe ich jetzt noch nicht mal die Mehrwertsteuer rausgerechnet. Also 7% runter, macht 74.400 Euro, davon dann rund die Hälfte weg wegen Buchhandelsrabatt, bleiben also noch 37.200 Euro, von dem all die Posten bezahlt werden müssen, die in dem Link angegeben sind, im Fall von Übersetzungen natürlich Lizenzgebühren und Übersetzerhonorar statt Autorenhonorar. Will heißen: Da kommt einfach nicht viel bei rum. Zumal SEHR viele Bücher nie auf 8.000 Exemplare kommen, sondern nur auf ca. 5000 oder noch weniger.

Der übliche Einwand ist natürlich: Na, dann macht doch weniger Bücher! Bringt nicht jeden Scheiß raus, sondern konzentriert euch auf das gute Zeug! Erster Haken daran: Das gute Zeug verkauft sich nicht unbedingt gut. Zweiter Haken: Oft weiß vorher kein Mensch, welches Buch sich gut verkauft und welches nicht. Es gibt absolute Überraschungsbestseller genauso wie Titel, die mit großen Erwartungen starten (und für die entsprechend hohe Honorare oder Lizenzgebühren fällig wurden) und dann krass floppen. Dritter Haken: Die Bücher, die bei 5.000 Exemplaren oder weniger herumkrebsen, sind mitnichten alle scheiße. Viele davon sind es absolut wert, überhaupt zu erscheinen oder auch auf Deutsch verfügbar gemacht zu werden. Das ist zumindest meine persönliche Erfahrung, und ich würde wetten, dass alle, die hier gerne lesen, auch ein paar super Bücher nennen können, die irgendwie kein Mensch gekauft hat. Sollen die Verlage sich die wirklich sparen? Ich fände es schade. Nee, ich finde, das momentan übliche System der Quersubventionierung durch Bestseller ist schon okay so. Immerhin garantiert es immer noch eine einigermaßen große Bandbreite in den Verlagsprogrammen (wobei natürlich trotzdem immer noch viel gutes Zeug nie veröffentlicht und stattdessen viel Mist auf den Markt geworfen wird, das will ich gar nicht bestreiten).

Trotzdem dürften Autorinnen und Autoren (und alle anderen, die an der Textproduktion beteiligt, aber nicht fest angestellt sind, sprich freie Redakteurinnen, Übersetzerinnen, Korrektorinnen) natürlich ein größeres Stück vom Kuchen abkriegen. Aber Verlage haben eben auch eine wichtige Funktion (Vorauswahl der Veröffentlichungen (lest euch mal durch ein Regal voller unverlangt eingesandter Manuskripte - viel Vergnügen!), Lektorat der Texte (jeder Originaltext und jede Übersetzung MUSS überarbeitet werden), Autorenbetreuung, Werbung, PR ...), und der Kuchen ist leider nicht allzu groß. Deshalb halte ich auch nichts davon, nun zusätzlich einen Preisverfall durch Konkurrenz unter den großen Buchhandelsketten sowie Amazon und Co. zu befeuern. Dadurch würde der Kuchen nämlich noch kleiner, und die Autorinnen und Autoren stünden danach sicher nicht besser da. Überhaupt sind Bücher meiner Ansicht nach sowieso schon ziemlich günstig, wenn man bedenkt, wie viel (Text-)Arbeit in den Dingern steckt, gerade in dicken Wälzern, die meist auch nicht viel teurer sein dürfen als ähnlich gelagerte, aber deutlich dünnere Titel.

Und für alle, die sich trotzdem keine neuen Bücher leisten können bzw nicht genug davon, um ihren Lesehunger zu stillen, gibt es Gott sei Dank ja noch andere Wege, nämlich Büchereien, das Moderne Antiquariat, Oxfam-Shops, den Gebrauchtbuchhandel generell usw.


Ich könnte jetzt wohl noch ewig weiterschreiben, aber egal. Ich will die Branche auch wirklich nicht gegen jeden Vorwurf in Schutz nehmen, es läuft natürlich bei weitem nicht alles, wie es soll. Aber die Bedingungen sind nun einmal nicht die leichtesten.

***Diese Nachricht wurde von Link am 01.06.2018 20:22 bearbeitet.***

***Diese Nachricht wurde von Link am 01.06.2018 20:23 bearbeitet.***
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