Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 12.02.2018 20:25 Uhr
Thema: Re:Jetzt explodiert natürlich mein Arschloch Antwort auf: Re:Jetzt explodiert natürlich mein Arschloch von Guzzi
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>>>So ein abenteuerlicher reisender Reporter wäre heute vielleicht
>>>auch etwas aus der Zeit gefallen.
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>>Meine Güte, man stelle sich nur mal ein Tim & Struppi für Millennials vor. Das eigentliche Comic war inhaltlich schon zur Zeit, als es rauskam, quasi die "cream of the crop" was Klemmi-Bespaßung anging. Quasi ein früher Hochpunkt der Normie-Kultur; schön brav und mit klar definierbaren Linien (HA!) zwischen Gut und Böse. Halt ein Comic für katholische belgische Pfadfinder, wenn auch ein exzellentes. Es erzählt Geschichten in einer trotz aller exotischen Schauplätze einfachen Welt, voll mit edlen Wilden und teilweise verstörend wie jüdische Karikaturen aussehenden Bösewichten.
>>
>Hihi, die "katholische belgische Pfadfinder" gefallen mir.
>Was du aber glaube ich falsch einschätzt ist Weltsicht und das Selbstverständnis
>der Menschen, insbesondere der Zielgruppe damals.


Nicht wirklich. Kolonial-Revisionismus halt. Das sowas, sagen wir mal, "schlecht altert" liegt auf der Hand.

>Nach unseren etwas misslungenden Anstrengungen zur - wie hatte es mein Onkel Willie
>noch in seinem Feldpostbrief anlässlich Führers Geburtstag ausgedrückt:
>"neuordnung Europas", hatten auch unsere Nachbarn vermutlich ein erhöhtes
>Bedürfnis nach einer wohl geordneten einfachen Welt.
>Die Belgier taten sich schwer ihren Kongo los zu lassen, die Franzmänner bekamen
>Stress in Algerien, und die rote Armee lauerte hinter dem eisernen Vorhang.
>Da tun zwei drei Seiten heile Abenteurerwelt im wöchentlichen Tintin schon gut.


Unbestritten, aber die Funktion als Seelentröster einer Nation in der Rückzugsbewegung ihres Weltgeltungsstrebens macht ein Werk nicht sakrosankt. Oder einen Werkkörper inhaltlich komplett unbedenklich.

Es ist bei der Klärung der Frage, warum es heute kein Tim und Struppi mehr gibt, sogar sehr hilfreich (Full disclosure: Tim und Struppi war lange Jahre mein erstes Lieblingscomic und ist das in mancherlei Hinsicht auch heute noch).

>Ich würde für Hergé ja auf Freispruch auf ganzer Line plädieren, wenn es ihm
>gelungen wäre sich in den folgenden Jahrzenten weiter zu entwickeln.
>
>Aber lassen wir seine Geschichten besser so stehen wie sie sind. Sie müssen heute
>niemanden mehr gefallen, zumindest keine neuen Leser mehr gewinnen.
>Was glaube ich auch grob deinem Resümee entsricht.


Jo, und ich finde, auch das hat einen Wert. Es geht ja nicht darum, dass ich sage "Rassist! Verbieten!", aber um einen kritischen Blick kommt man imho nicht drumherum. Ich würde wie immer auch soweit gehen, dass das Thematisieren und Hinterfragen gerade älterer Sachen das eigene Lesen bereichert und die Werke beständiger lebendig hält, als dass irgendwelche "Updates" es könnten. Der Artstyle ist der Wahnsinn und wird bis heute (Zurecht!) von den Belgiern heilig gehalten, aber letztenendes, wenn man älter ist als kein Plan 14 oder so, sollte es für einen relevant sein, was der zeithistorische Background des ganzen ist. Und man sollte tatsächlich "Tim im Congo" in der Bücherei im Regal stehen lassen. Und alle Bände, die in Asien spielen. Oioioioioi... Das Tim in "Der Rote Lotus" fucking Opium raucht ist da imho noch das am wenigsten weirde... ich mein, was spricht dagegen, sich auf nem Abenteuer auch mal einen reinzuknallen? Naja, die Suggestion, das alle Chinesen Junkies sind.

Aber will ich davon eine "politisch korrekte" Version? Fuck no. Wie verlogen das auch wäre. Aber irgendwann werden sie es wieder versuchen.
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