Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 05.09.2017 17:45 Uhr
Thema: Re:Warum machen so viele Leute diesen Wahlomat-Shit? Antwort auf: Re:Warum machen so viele Leute diesen Wahlomat-Shit? von Don Cosmo
>>Wenn du die Frage so stellst, keiner. Ansonsten behalte ich das schön für mich, einfach, weil ich es kann.
>
>Hmmm, kann natürlich jeder so machen, wie er will, keine Frage. Aber bei der flammenden Rede dachte ich mir schon, daß es am Ende zumindest einen Lichtblick am Horizont gibt!


Wirkliche Lichtblicke am Horizont sind mittlerweile nur noch möglich, wenn man sie global koordiniert. So wie nukleare Abrüstung (welche bereits nicht funktioniert) müsste es fundamentale, überall auf der Welt gleichermaßen gültige und bei Nichterfüllen sanktionierbare Mindeststandards für Arbeit und Gesundheit existieren. Basierend auf diesen Mindeststandards für Arbeit muss ein Wirtschaftssystem entstehen (und nicht andersherum) das tatsächlich gerecht ist - und mit weltweit gleich geltenden Arbeiterrechten auch gute Chancen hätte, das zu sein.

Das wird nie passieren, und jeder vorwitzige Versuch auf lokaler (also Nationalstaats-) Ebene, es als Insel anders zu probieren, allein deswegen zum Scheitern verurteilt.

Aber das wäre eine Utopie, die tatsächlich zumindest theoretisch realisierbar wäre ohne die Existenz von Superman oder Gott vorauszusetzen. Auf absehbare Zeit werden wir aber immer noch in einer Welt leben, in der der Chinamann, der unter Sklavenbedingungen mein iPhone zusammenklebt und das Kind in Zentralafrika, das in einer Coltanmine buckelt oder auf einem Schrottplatz meine alten Handys verbrennt um an den leckeren Kern aus Handynougat im Inneren zu gelangen, a priori egaler zu sein haben als ich und die Menschen unmittelbar um mich herum, weil wir per random einen Lebensberechtigungsschein für Deutschland gewonnen haben. Das ist total bitter, ich wünschte DAS würde sich ändern, ich würde dann auch gern ein Leben in den jetzigen Verhältnissen oder vielleicht sogar kleineren in Kauf nehmen wenn ich wirklich guten gewissens davon ausgehen könnte, dass nicht irgendwo anders auf der welt leute so leben wie in den Fallout-Spielen.

Das mag man gerne Rolf-Zuckowski-esk kindlich naiv finden, aber ich bin lieber kindlich naiv als zynisch. Und zynisch wäre es, einfach zu sagen "Naja, aber so isser halt, der Mensch." Says who?

>Ich mach mir nun auch keine Hoffnungen, daß meine ÖDP-Stimmen irgendwas bewirken, hoffe nur, daß eine Stimme mehr im Topf den prozentualen Anteil der Parteien schmälert, die mir nicht schmecken.

Letztenendes ist die Motivation ja auch irrelevant. Natürlich wäre es schön, wenn es was geben würde wo ich sagen könnte "DIESE Person ist vielversprechend, ich fände es gut, wenn die mehr zu sagen hätte", aber ich sehe da niemanden, den ich direkt wählen könnte mit meiner erststimme, und das risiko, mit meiner zweitstimme auch das mandat von waschechten Bumsmongos zu sichern ist nahezu absurd astronomisch hoch.

>Was Du weiter oben schreibst, von wegen "Man weiß aus der Vergangenheit der Parteien, was zukünftig von ihnen zu halten ist" finde ich auch etwas zu kurz geraten als eine Art Wahlempfehlung, immerhin waren genug Parteien noch nie "an der Macht".

Ja das ist aber ein sehr "self-serving argument". Dann dürfte man ja niemanden wählen, der noch nie an der Macht war. Bei den meisten kann man das nicht sagen, weil selbst in einer Koalition die Frage, wie sehr der Partner wirklich "an der Macht" ist sich in einem stetig neu verhandelten Fluss befindet. Gut, das wird jetzt sehr esoterisch, wenn man einfach mal die Frage in den Raum stellt, inwiefern die FDP bspw. je regiert hat, aber trotzdem. Sie wurde gewählt, weil man wissen konnte, dass sie jedem Partner gewissenhaft die nötige einfache Mehrheit verschafft. Kleinere Koalitionspartner werden vom größeren immer zermörsert, weswegen die große Koalition gerade bei der SPD nicht beliebt ist. In unserem demokratischen System gestaltet die Partei, die die Wahl gewinnt, in erster Linie die Politik. Man ist also als Wähler, wenn man "taktisch" denkt, eher dem potentiellen Sieger mehr zugeneigt, wenn man nur nach potentiellem Einfluss geht, so von der direkten Linie Meine-Stimme-in-der-Wahlkabine zu Gesetzesbeschlüsse im Bundestag. Also, selbst wenn man die Definition des Begriffs "realisitsch" äußerst weit fasst, haben wir in Deutschland in der reinen Machtfrage realistisch maximal einen Zweikampf.

Weiß der Teufel, warum so viele Leute über so lange Zeit so zuverlässig CDU wählen, aber auch in dieser Abstimmung, da muss man nicht Nostradamus sein, wird die CDU mit einem sehr okayen Vorsprung die Wahl gewinnen. Daran wird sich nichts ändern. Es gibt keine gut formulierte, ansprechende und wirklich guterdings gestalterische Vision für die Zukunft, die müsste von aussen kommen. Das etablierte Personal wird sich weiter wählen lassen und selbst nur die weiterhin bekannten technokratischen Feintuning-Geschichten weiter betreiben und von seismischen Ereignissen wie der letzten Weltfinanzkrise systematisch überfordert sein.

Andererseits kann ich mich persönlich auch in Leute hineinversetzen, die was zu verlieren haben. Wenn es für mich gut liefe, und ich denke, da gibt es einige, warum sollte ich dann ohne Not mich mit der Unzufriedenheit anderer auseinandersetzen? Ich hab selber in diesem Jahr noch erlebt, dass jemand im persönlichen Gespräch sich erstaunt gab über meine Kritik am Jobcenter, basierend auf meinen subjektiven Erfahrungen, weil es doch wichtig sei, dass es sowas überhaupt gibt. Ja, gut. Ja. Aber... goddammit.

Und klar, warum sollte die Person dann sagen "Naja, verzichte ich halt auf meine vintage Harley, sollte eh nicht in Wohngebieten gefahren werden dürfen wegen laut, dann kann der kleine Muck sich zwei Nintendo-Spiele extra pro Monat kaufen und ist nicht mehr so traurig". Natürlich denkt derjenige eher "Geh arbeiten, du Schwein!"

>Grundlegend stimme ich Dir aber zu, daß der Wahl-o-mat bestenfalls eine Art Gimmick ist, das niemals als letztendliche, wahrhaftige Begründung für seine Wahl angeben sollte. Andererseits gibt es eine Menge sehr uninformierter junger Trottel, bei denen es vielleicht besser ist, wenn sie am Ende ihr Kreuz doch bei CDU anstelle AfD machen, wenn ihnen der Wahlomat das so sagt. Oder?

Es gibt immer uninformierte, uniformierte oder sonstwie geartete Trottel. Es gab Trottel im antiken Rom, es gab Trottel in der athener Polis. Es gab Trottel im parlamentarischen Rat von 48-49, es gibt Trottel in Harvard, Bottrop, Berlin-Mitte und der Antarktis. Es ist zu viel verlangt von der repräsentativen Demokratie, das Trottel-Problem zu lösen. Im Gegenteil, die Geschichte hat gezeigt, das allzu invasive Maßnahmen zur Lösung des Trottelproblems keine gute Idee sind und vielmehr zu einer viralen Vermehrung von Trotteln führen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Der Moment, an dem man absolut sicher sein kann, nicht von Trotteln umgeben zu sein, ist der Moment, an dem man merkt, dass man im Faschismus lebt.

Insofern, und aus purem Eigeninteresse, plädiere ich für die umfassende politische Selbstbestimmung von Trotteln und sogar Volltrotteln. Alles andere gefährdet die Demokratie!
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