Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 05.09.2017 15:37 Uhr
Thema: Re:Warum machen so viele Leute diesen Wahlomat-Shit? Antwort auf: Re:Warum machen so viele Leute diesen Wahlomat-Shit? von PUH
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>>Nicht wirklich, eher die Beurteilung der vollzogenen Praxis. Am besten beurteilen, was Parteien in Zukunft machen, kann man daran, was sie in der Vergangenheit gemacht haben. Wahlprogramme sind ohnehin Schmu und Work-by-comittee-Absichtserklärungen im vagesten Sinne. Themenwahlkampf hat für den normalen Deutschen frisch aus der Sommerfrische keinen Reiz, der ist noch halb auf Fuerteventura.
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>Wobei idealerweise Personen, deren vergangene Position und Parteiphilosophie zusammenfallen sollten. Gut bei der FDP zu sehen!
>Aber Ok, gutes Beispiel für deinen Punkt auch : die Grünen, s. Kretschmann.


Eben. Hätte es den Wahlomat 1997 schon gegeben... I dunno. Letztenendes wurde ja auch ohne dieses "Hilfsmittel" genug Grün gewählt, dass es für eine Regierungsbeteiligung reichte.

Die SPD hat im großen Stil das Sozialsystem mit der Axt bearbeitet, die CDU hat die Wehrpflicht abgeschafft und de facto das OK für die Homoehe gegeben (Indem es zur Abstimmung zugelassen wurde, deren Ergebnis dezidiert NICHT offen war). Klar, das sind Extrembeispiele, aber sie kommen eben immer wieder vor, und es ist wichtig zu bedenken, wie Person XY auf Position Z letztenendes reagieren würde, wenn etwas unvorhergesehenes passiert, wie diese Ruckzuck-Dynamik bei der Ehe für Aale. Bis heute zerbrechen sich sehr, sehr, sehr schlaue Leute ihre wertvollen Köpfchen darüber, Angela Merkel irgendwo ideologisch zu verorten. Ich sach mal: Mit Multiple-Choice-Tests wird man das auch nicht schaffen. Letztenendes halte ich das für Volksverblödung und aktive Entpolitisierung der Öffentlichkeit (Und NEIN, das ist jetzt kein ad-hominem an jeden, der in diesem Thread oder sonstwo diesen Multiple-Choice-Test gemacht hat).

Und Entpolitisierung hat uns erst an diesen Punkt gebracht: Immer wieder reden Kommentatoren darüber, wie lahm dieser Wahlkampf ist. Als wäre es der davor nicht gewesen. Und der DAVOR. Ich kann gar nicht mehr sagen, wann Steinwalter Frankmeier und Stein Peerbrück Kandidaten waren. Meierfrank Walterstein 2009 und der andere 2013? Alles apathische "Weiter so, alles geil!"-Veranstaltungen wie dieses Jahr, genauso leblos, genauso zomboid.

Natürlich kann man jetzt auch nochmal reflexhaft die Dankbarkeit für all soviel Seriösität und Stabilität betonen wie alle das tun, wenn sie über die Tristesse klagen. Aber das kommt mir auch nur wie eine Ersatzhandlung vor. Ich glaube, spätestens seit der letzten großen Finanzkrise wissen alle, das irgendwas grundfaul ist, aber niemand sieht sich gezwungen, das zu konfrontieren. So Blue-Velvet-Vorspann-Style.

Bei den Dänen sagen auch nur alle "Och sind die süß, mit ihren süßen Häusern und ihren süßen Möbeln", aber dabei sind das grundkaputte Sexferkel a la Lars von Trier oder Raketen-Madsen. Man geht damit nur skandinavisch-offener um oder so? Wer weiß. Aber seit der Wiedervereinigung haben sich Sachen angestaut, über die nie richtig geredet wurde. Das Westdeutsche Ostdeutsche tendenziell immer noch für Untermenschen halten bspw., um jetzt mal nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das Solidarität in der Gesellschaft abgebaut hat, dass wir durch die Wirtschaft und die Politik immer mehr voneinander isoliert und unser relativer politischer Einfluss dadurch atomisiert wurde. Das wir aus irgendeinem Grund in der Schule möglichst MINT-Fächer wählen sollen, damit wir bessere Autos und Luftabwehrraketenstartsysteme bauen können und das Germanistik Kokolores für Traumtänzer ist.
Das ich als Freiberufler in der Medienbranche gucken muss wie ich glücklich werde und die Gesellschaft der Meinung ist, dass wenn ich kreativ sein will, halt schön bei Starbucks zu buckeln hab um mir das leisten zu können (Warum mir vorher eine langjährige Ausbildung vom Steuerzahler finanziert wird, und wo da jetzt die Stringenz im Denken ist, kommt noch dazu). Warum ich nicht mit meiner Verlobten zusammenziehen kann in eine Wohnung, die mehr als ein Zimmer und 45 Quadratmeter hat, ohne die Stadt wechseln zu müssen. Warum ich wegen all dem, der Tristheit meiner Lebens- und Einkommensverhältnisse und meine relative Abgeschnittenheit vom sozialen Leben mittlerweile Klinikaufenthalte in somatischen wie auch psychiatrischen Stationen hinter mir habe, und sich einfach nichts ändert, nichts besser wird, es perspektivisch hoffnungslos bleibt und Selbstausbeutung in einer Branche akzeptiert wird, einfach, weil sie für das Land der Schwertransportbegaffer und Rettungsgassenbilder zu egal ist. Das ich entweder wegen meiner Karriereentscheidungen, meines sozialen Status oder meines Aussehens nicht für voll genommen werde, zumindest nicht voll genug, dass man mir für irgendwas was ich fabriziere genug geld für zum Leben geben würde, vielleicht mal länger als neun Monate am Stück (Hatte nie einen "Job" länger am Stück).

Ich hab in Jobs gearbeitet wo ich dachte "Eigentlich müssten alle mal schön streiken", aber wie? Es gibt für dieses Gewerk "Irgendwas mit Medien" keine Gewerkschaft. Es gab keinen Betriebsrat. Sowas macht man nicht unter Leuten, die nicht nur supercool sind, sondern auch alle Buddies. Das dabei grundlegendste arbeitsrechtliche Gepflogenheiten ignoriert wurden, wayne, gibt wichtigeres.

Sowas halt. Das ist beängstigend, aber es interessiert keine Sau. Ich erwarte auch gar nicht mehr von den Parteien, dass sie sowas berücksichtigen, das ist denen zu profan. Wenn selbst wirklich wichtige Jobs wie die in der Pflege oder der Bildung so bezahlt werden als wären diejenigen, die sie ausüben, dem Tiere näher als einem vollwertigen Bürger Roms, weiß ich ganz genau, wie wenig ich von diesen Lappen zu erwarten habe.

Und entsprechend wähle ich.
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