Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 30.07.2017 16:09 Uhr
Thema: "Was zur Hölle macht Nordberg in Brentwood?!" Antwort auf: O. J.: Made in America von Escobar
"FROM THE FILES OF POLICE SQUAD" indeed.

Ssssssaugeil. Ich hab gestern wieder den Doku-Druck verspürt, und mir "Risk" von Laura Poitras angeguckt über den Peter Pan, den wir verdienen, nicht den, den wir brauchen, international sex criminal und Vampir der ecuadorischen Botschaft in London, Julian Assange. Schon ein massiv irritierender Dude, der anscheinend bis ins hohe Erwachsenenalter "Anführer" von nem Klatsch-und-Tratsch-Klub sein will, weil er damit sehr offensichtlich Weiber "klarmachen" kann die ihn mysteriös finden und dadurch wirkt wie ein Sektenführer, herumtreibend im Niemandsland zwischen Pepe-Frosch und reallife NatSec-Spacken, hochaktuell übrigens (Szenenapplaus am Ende für 'Lil' Comey Gay-Ass'), die letzte Schnittfassung kann nur wenige Monate alt sein. Alle Stars unserer Zeit geben sich ihr Stelldichein: Ed Shodan darf mal kurz grüßen, Roger Stone wird erwähnt, und natürlich unser aller Liebling, "der sogenannte Präsident Donald Drumpf, der Irre im weißen Haus" sowie Hilldog, rotten low-energy, low-stamina  Hilldog.

Aber alles natürlich kalter Kaffee, nur die Spitze des Eisbergs, gegenüber dieser OJ-Doku, die einfach mal hingeht und ALLES erzählt, und das zurecht! Ich konnte irgendwann um viertel vor vier morgens nicht mehr, was ungefähr an der 40-Minuten-Marke der dritten Folge passierte, also fast exakt zum Mid-Point der gesamten Doku (Wenn man ein Kapitel nennen müsste, dann würde es sicher "The Bronco Chase" heißen). Es ist so krass. Man kriegt eigentlich noch seperate Dokus über die Watts-Riots von 1968, über die University-of-California-Footballmannschaft unter dem Eindruck von OJ, über die unterschiedlichen Polizeireformen in Los Angeles, über Rodney King und den Fall einer 15jährigen Schwarzen, die von einer koreanischen Späti-Besitzerin hinterrücks erschossen wurde ohne ersichtlichen Grund, über das Rennen zum Yardage-Rekord der Buffallo Bills. Was hier konfus und überladen wirkt, passiert aus hochsinnvollen Gründen auch in der Ausführlichkeit, weil es so wirklich auch dem letzten Trottel ein hervorragendes Gefühl vermittelt, was es bedeutet, Amerikaner in der modernen Zeit zu sein, und wie man automatisch, quasi ab Geburt, mit der Hautfarbe einem "Team" zugeordnet wird, dessen Konkurrenz zum Gegner nicht nur institutionell, sondern auch kulturell komplett eingeschliffen ist in die dortige Gesellschaftsordnung, so sehr, dass man teilweise fast von einer informellen, "höflicheren" Version Südafrikas unter der Apartheit zu sehen glaubt. Und in vermeintlichen Gemeinsamkeiten (Wie den Riots in Compton) sehr präzise die Unterschiede merkt: Natürlich erinnerten die Bilder an G20, aber in Hamburg haben die Einwohner nicht ihr eigenes, sehr nett gentrifiziertes Viertel zerlegt, weil ihnen als Community konkrete Ungerechtigkeit wiederfuhr - es brach sich zwar Wut bahn, aber kalkuliert, ritualisiert. Die Rodney-King-Unruhen hingegen waren nackter Zorn, wie er nur nach Jahrzehnten an Unterdrückung, Verzweiflung und sozialer Vernachlässigung entstehen kann; der Punkt, an dem es den Unterdrückten egal ist, wenn sie in den Augen ihrer Unterdrücker als die Tiere rüberkommen, als die sie sowieso betrachtet werden, weil es buchstäblich egal ist, was sie machen und was sie sind.

Da schließt die Ausführlichkeit der Dokureihe jede ansonsten bequem vorhandene Tür zu, durch die man sich aus Komfortgründen ethisch verpieseln könnte, und allein das finde ich schon stark, dass die Doku es geschafft hat.

Interessant finde ich, dass die Doku sich trotz allem die Mühe macht, nicht in repetitiven Agitprop umzukippen, also dem LAPD immer auch eine offene Stimme lässt und diese dem Zuschauer überlässt, zu werten. Ich hatte aus Gründen, die hier jetzt keine Rolle spielen, vor nicht allzu langer Zeit sehr engen Kontakt mit einem immer noch aktiv im Dienst befindlichen Berliner Polizisten. Der Typ hat Linke echt gehasst, also wirklich gehasst, aber auch aus sehr menschlichen Gründen: Weil er (Ich nehme an durch Häusserrräumungen) panische Angst vor Feuer und Verbrennungen hatte. Wir sind alle Menschen, aber wenn wir das nicht jeden Tag aufs neue einander vorleben, wirds richtig, richtig arg.

Aber jetzt erstmal weiter mit "The Bronco Chase".
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