Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 29.01.2017 16:10 Uhr
Thema: Kulinarisches Mainz! Antwort auf: Kochen. Essen. Genießen. - Der Rezepte-Thread von D@niel
Gezwungenermaßen (Unterkunft hatte im ersten Monat nur 1 Topf und 1 Pfanne, selbst Salz und Pfeffer mussten wir nachkaufen...) waren wir in Mainz oft aus zum Essen.

Dabei stellte sich schnell heraus, dass die dortige Gastronomie noch nicht auf den hauptstädtischen Trend der fundamentalen Gästebeleidigung und des Diarrhoeausschanks aufgesprungen ist, sehr zu meinem Gefallen. Döner wird dort beispielsweise überall (!) in selbstgemachtem Brot serviert. Sowas kannte ich zuvor nur von den Dönerläden in Heide. In Berlin habe ich noch nie jemanden mit Teig arbeiten sehen. Da wird einfach das Fertigfladenbrotviertel kurz vor der Befüllung in den Panninimaker geballert. Es gibt zwar die ganzen tlw. mayonaisebasierten Soßen, aber Standard ist mit Knoblauch und ein wenig Kräutern aufgemotzter Joghurt, was sehr gut schmeckt und sich zur Verfeinerung mit dem scharfen roten Pulver anbietet. Ich habe dort köstliche Döner und ebenso köstliches Iskender Kebab genießen dürfen, welches noch nach zehnminütiger Durchsuppung von den Soßen knusprige Brotwürfel vorhielt. Aber genug zu Dönern!

Wir waren ein paar mal beim Griechen, das war natürlich sehr gut, aber auch in Berlin gibt es sehr gute Griechen. Es gab aber auch sog. Weinhäuser, rustikale Lokale für ein interessanterweise gehobeneres Publikum, in denen man mal mehr, mal weniger penetrant mit der lokalen Delikatesse, dem Weißwein, belästigt wird. Ich räume ganz offen ein, dass ich Weißwein furchtbar finde und schon beim Trinken einen Kater davon bekomme. Es schmeckt meistens sauer und schweflig, selbst die lieblichen Sorten schmecken lediglich eine Idee weniger sauer, dafür aber nochmal etwas schwefliger. Ich verstehe nicht, wie, basierend auf dieser alkoholischen Grundlage, in der Region eine durchaus vorzeigbare Trinkkultur herausbilden konnte und blieb, so weit es in meiner Macht stand, beim Genuß von Pilsbier und, wenn der Anlass das Wirkungstrinken einforderte, sogenannte "Hütchen" - in verkehrshütchenförmigen Gläsern servierte Cola-Weinbrand-Kombinationen, entweder auf Asbach- oder Billigwhiskybasis.

In den Weinhäusern konnte man aber unfassbar gut essen, also fiel es mir leicht, dass an Körperverletzung grenzende Aufdrängen von Weißwein zu ignorieren und mich voll und ganz auf die Speisen zu konzentrieren. Im Weinhaus Blum ([http://www.weinhausbluhm.com/home/]) lies sich ausgezeichnet essen: In der Vorweihnachtszeit besucht, entschied ich mich für eine Kartoffel-Petersilienwurzel-Suppe mit gebratener Blutwurst als Einlage. Ich hab es sehr selten erlebt, dass ich Suppen nicht nachwürzen musste, und gerade eine milde Suppe wie diese hätte sich dafür eigentlich aufgedrängt. Not so! Ich hätte meinen kümmerlichen Schwanz auspacken und diese Suppe labskausen können, an Ort und Stelle. So gut war die. Die Gänsekeule mit Serviettenknödeln, Rotkohl und Lebkuchensoße war auch identisch geil. Optisches Highlight war das vegetarische Hauptgericht "Ganzer, gegrillter Blumenkohl mit Zwiebelchen drauf und unten etwas Brühe", eigentlich wahnwitz, aber visuell schwer zu toppen. Höchstens von der Fischsuppe, einem Berg aus hochwertigem Seafood mit ein wenig Brühe, für die man in Berlin problemlos 70 Euro pro Teller verlangen könnte und immer noch genug Idioten finden würde, die das ohne mit der Wimper zu zucken zahlen täten.  

Der Endgegner hingegen war das "Weinhaus Kurfürst", eine gut geölte Maschine, in der totes Schwein in üppigen, schweren, panierten Lappen an das hungrige Volk verteilt wurde. Es brauchte mehrere Anläufe (Mitsamt einem Charles-Dickens-Moment, in dem ich draußen im bitterkalten Nieselregen nur den Tränen nahe durchs Fenster mit ansehen konnte, wie kräftige Kellner Tabletts voll riesiger Tröge mit Bratkartoffeln und Rahmschnitzeln durch die Wirtschaft wuchteten) und schlußendlich eine telefonische Reservierung, bis ich mich in der glücklichen Position befand, selbst dort speisen zu können. Ich entschied mich in meinem jugendlichen Leichtsinn dafür, nicht nur eine Gulaschsuppe als Vorspeise ("Welche Größe? 'Groß' ist bei uns 'normal'." "Groß!") zu nehmen, an der ich mir ordentlich die Fresse verbrannte weil sie so lecker war (Nicht die Variante "evangelischer Kirchentag" aus der Bundeswehr-Feldküche, mit reichlich gestifteten Gewürzgurken und Dosenchampignons, sondern eine Zubereitung, die quasi zu gleichen Teilen aus Suppe und Fleisch bestand, eher sogar 70% Fleisch und 30% Suppe), sondern auch ein Schnitzel mit Braktkartoffeln mit einer "normalen" (großen!) Portion Bratkartoffeln zu nehmen, an der ich letzten Endes scheiterte. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte mal in einem Restaurant meinen Teller nicht aufgegessen bekam - der "Kurfürst" schaffte dies gleich beim ersten Versuch. [https://www.facebook.com/pages/Weinhaus-Kurf%C3%BCrst/117117081690333]

Es gab auch ein ganz putziges, nominell "japanisches" Restaurant, dass mit seinem Sushi warb, aber mein Kennerauge erkannte sofort, dass hier Koreaner auf einen kulinarischen Trend aufsprangen, weil evtl. das Selbstvertrauen in die eigene Landesküche fehlte. [http://www.sushi-domo.de/] Doch gab es dort mittags für faire acht Euro ein absolut taugliches Bulgogi, welches ich ebenfalls ein paar mal verzehrte. Dazu vorweg immer eine leicht brackige Misosuppe und als Extra ein paar mal die Mandu, welche frittiert waren und mit einer Soße aus Sojasoße mit Essig und etwas Zucker gereicht wurde. Mal was anderes! Einmal wurde ich Zeuge, wie drei koreanische Teeniedamen pampig wurden, weil ihnen das Essen ohne die aus der Heimat gewohnten Beilagen-Schälchen gereicht wurde, was die Kellnerin erst hilflos zurücklies ("Haben wir nicht!") und dann die Chefin auf den Plan rief, die innerhalb von fünf Minuten eine passable Anzahl Banchan hervorzauberte. Fand ich ganz interessant, nicht unbedingt im positiven Sinne. Dem Mainzer Gaumen will man solche Idiosynkrasen offensichtlich nicht zumuten! Der frisst halt sein Sushi und hält das Maul, weil er es nicht besser weiß. Aber eigentlich war der Laden nur Durchschnitt, was okay wäre, wenn es auf der Karte wenigstens ein Killer-Gericht gäbe. In Berlin, in meiner Nähe, gibt es bspw. das Restaurant "Arirang II", in dem eigentlich das meiste nur schwer genießbar ist, das Personal durch die Bank weder Deutsch spricht noch in irgendeiner Form einen Plan hat, wie Gastronomie funktioniert (Das Lokal ist untergebracht in einem ehemaligen "Kulturcafe"/Internet-Wettbüro-Gedönse, und man hielt es bis heute nicht für nötig, in die offene Küche eine Lüftungsanlage einzubauen, weshalb das Restaurant im Winter unbesuchbar ist weil man nach zwei Sekunden bis auf die Haut durchgeräuchert mit Fettgeruch ist), dafür aber frittiertes Schweinefleisch mit abartig geiler Süß-Sauer-Soße (Zutaten: Zucker, Essig, sonst nix!) zu bieten hat, welche so heiß ist, dass sie regelmäßig die Styroporcontainer durchbrennt. Aufgrund der gigantischen Hitze wird dort auch kein E.Coli-Bakterium und keine Norovire überleben, was es auch diesbezüglich zu einem sehr sicheren Gericht macht.

Ungeschlagenes Highlight blieb aber der "Pornogiese", ein Lokal, dessen Hauptattraktion eigentlich der Fisch und die Meeresfrüchte sind und das entsprechend der Landesküche äußerst Öl- und Schmalzbasiert war. [http://www.cafeportugal.de/] Vom Look her hatte es was von ner Absturzkneipe, die seit den 80ern nicht mehr renoviert wurde, aber der Laden konnte es sich leisten, meistens erst abends um sechs aufzumachen und war trotzdem immer proppenvoll. Die Tische standen in Reihen direkt aneinander, so dass man immer mal mit fremden Leut nebeneinander tafeln durfte, und meine Leibesfülle dafür sorgte, mich bei jedem Gang zur Toilette oder hinaus zum rauchen unbeliebt as fuck zu machen, aber das war mir in dem Fall egal, denn dort gab es das beste Steak, was ich je gegessen habe. Für 15 Euro! Wo sie bei Blockhouse locker 27 Euro verlangen würden und nur eine fucking Ofenkartoffel mit Quark zu servieren würden, gabs da gleich standardmäßig selbstgemachte "Pommes", Kartoffelscheiben die zwei mal in der Pfanne frittiert wurden und dadurch eine Textur erreichten die irgendwo zwischen Pommes und Chips lag und hervorragend von der Zitronenscheibe profitierten, die dazu gereicht wurde. Als Vorspeise gabs für 2,50 Euro immer einen Korb Brot, ein Schälchen Oliven (Waren mir egal) und einen Bottich (!) Aioli, der einen quasi herausforderte, ihm mit diesem bißchen Brot ganz aufzustippen. Am Ende hatte ich es geschafft, nur um festzustellen, dass ich kein Brot mehr hatte, um den halben Liter Saft, der aus dem Steak heraustrat, aufwischen zu können. Ich war drei mal da, und jedes mal hätte ich allein aus dem Bratensaft dieser perfekten Steaks noch eine eigene Soße rausreduzieren können. Es war so unfassbar geil. Wenn ich die Gelegenheit hätte, dort häufiger essen zu können, wäre ich innerhalb von drei Wochen tot.

***Diese Nachricht wurde von Felix Deutschland am 29.01.2017 16:10 bearbeitet.***
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