Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 05.12.2016 15:36 Uhr
Thema: Interstellar & Versprochen Ist Versprochen (Netflix) Antwort auf: Stream of Conciousness von Icheherntion
Ich verstehe das mit den Filmthreads nicht. Gibt es einen Thread für Kinofilme, einen für Netflix-Filme und einen nur für Filmtrailer, bzw. mehrere von einem dieser Threads? Naja, liest ja eh keine Sau, also was solls.

Das Beste, was ich über Interstellar sagen kann, und das soll man bitte nicht als geharnischtes Kompliment auffassen, denn es ist wirklich eine Leistung: Das der Film bei einer Laufzeit von annähernd drei Stunden nicht langweilt. Bzw. über sehr weite Strecken nicht.

Ansonsten hat er leider das Nolan-Problem, dass sein Erschaffer ein krasser Autist ist, für den Figuren keine Menschen sind sondern nur ein paar Gesichtsausdrücke und Fortbewegungsmittel von Schachfiguren entfernt sind welche Nolan irgendwelche Konzepte bzw. stark konzeptionalistische Plotideen durchspielt. In Memento war das Konzept, ob ein Mensch sich selber "programmieren" kann und welche eventuellen Fallstricke dort herrühren, bei Inception war das Konzept "Kann man Träume manipulieren und dadurch metaphysischer Trickbetrüger/Meisterdieb werden?" und bei Interstellar isses nun "Was, wenn wir mit genug Geduld und Spucke es schaffen, in n-fachen Dimensionen zu denken und zu arbeiten, wouldn't that be neat?"

Was der Film gut hinkriegt, ist es, trotz regelmäßiger Seltsamkeiten (Erster Akt von dermaßen effizienzgeiler Grobschlächtigkeit, dass mancher moderne Egoshooter ein "Mach mal halblang..." in die Richtung dessen merkwürdig platzierten Plotpoints raunen würde), dass man bis kurz vor Ende noch denkt "Yeah, gleich kommt der völlig entgrenzte Space-Shit", aber dann ist es am Ende doch nur Ghost Dad mit den Mitteln von Monster AG. Man hätte es kommen sehen müssen (Und tat dies auch): Seltsam ruckelnde Bücherregale und rieselnder Staub, blablabla foreshadowing NUTTÖÖÖÖ, aber es hätte, gerade bei all dem Vorlauf und dem sehr großkotzig demonstrativen Anwerfen der erzählerischen Windmaschinen, ruhig mehr sein dürfen als ein extradimensionaler Maschinenraum/Webstuhl, in dem McConaughaughnaughey wie alle drei Moiren in einer Person vereint ein wenig Zeitreise-Helferlein spielen darf.

Ich wollte mehr "Elite: Dangerous" und weniger polnischer Tauwetterfilm, aber Chapeau an Nolan, irgendwie, dass er die Eier hat, seine Protagonisten den Großteil der Zeit (holzschnittartig, aber dennoch) über große moralische Fragen über den üblichen Schmuh (Soll man seine eigenen Hoffnungen für das Überleben der Menschheit aufs Spiel setzen usw.) diskutieren zu lassen, was sich niemand sonst trauen würde, oder trauen dürfte. Nichtsdestotrotz klingen die Figuren, durch die Art wie sie reden und was sie reden, wie Roboter. Wie animatronische Puppen, die in einem sehr aufwändigen Freizeitpark-"Ride" halt über den psychischen Zoll von Einsamkeit und Loyalität ggü. einer Aufgabe sprechen anstatt "HERE COMES THE BEEF, BITCH!" oder "WAHOOO MOTHERFUCKER!!!" zu brüllen, was völlig mit mit d'accord geht. Aber halt trotzdem mega nerdy und autistisch rüberkommt und mit seiner zwar sehr aufrichtig gemeinten, aber auch aufrichtig mißlungenen emotionalen Arc nicht schaffte, wie ein richtiger Junge zu wirken und nicht wie Pinocchio, der mit Anfang 50 noch so tun muss als sei er nicht aus Holz. Damn, die Aspergers-Anspielung habe ich in übel vorwurfsvolle Dimensionen geführt.

Aber so isses halt. Am Ende ist alles megadumm, schwarzes Loch als Deus Ex Machina in dem alles "repariert" werden kann, Zeitschleife-Loop be damned (Wird ja dadurch korrigiert, das... nee, ich rekonstruier das jetzt nicht nochmal, das wird eh wieder in sich zusammenkrachen, aber das tut's bei Memento ja auch und ist nicht das größte Problem des Films), naja. Dafür aber eine sehr interessante Struktur, die wirklich was hat von sowjetischer SciFi, aber auch diesen 50er-Jahre-Hollywood-B-SciFi. Ein wenig was von Stanislaw Lem plus Lloyd Bridges auf dem Mond; eine spürbare Technikbegeisterung und Verliebtheit in eine gewisse Ästhetik, vor allem ein visuelles Update von Kubrick, das Nolan fast peinsam aufrichtig an mehreren Stellen versucht. An mehreren Stellen holt er sein sicherlich enormes Regisseur-Glied aus dem Hosenlatz und schwingt es quer über die iMax-Leinwand, wie bspw. als dieses Gedicht vorgelesen wird als McConaughaughnaughey abhebt ("Es hebt ab. 5/5 Sterne."), auch ein Score, der neckisch fast zu klassischer Musik mutiert, hach ja.

Aber das ist ja der Sinn solcher Filme, eben halt groß zu denken und sich das alles vorzustellen und zu zeigen, wovon andere, schwächere Geister nur theoretisieren. Schade allerdings, dass McConaughaughnaughey nicht, wie viele Physiker annehmen, zu einer unendlich langen und unendlich dünnen Nudel wird, sondern lediglich mit Rollsplit und Hagel zu kämpfen hat jenseits des Ereignishorizonts. Dem lässt sich allerdings durch simples Aussteigen leicht Abhilfe schaffen; Singularität: "ez, np".

Derart fürs Leben gebildet musste ich dringend ein paar Gehirnzellen vernichten, und was wäre dafür besser geeignet als der Film, den unsere Fernsehzeitung Jahr für Jahr ausdauernd mit "Hilfe, Arnie weihnachtet sehr!" untertitelte und der besonders in der O-Ton-Fassung einfach nur liefert?

Arnie ist schwerbeschäftigter Matratzenverkäufer ("Listen! I make you a deal! You're my best customar! ARLARLARL"), der seinem Sympathieträger von Sohn (Jake Lloyd, in einer Rolle, die selbst Anakin Skywalker wie Andy aus Parks&Recreation rüberkommen lässt) eine ganz bestimmte Actionfigur zu Weihnachten schenken muss (!), weil er es nicht zu seinem Karatetraining bzw. einer Karatevorführung schafft. Alles an dem Film ist so falsch. Phil Hartmann als ultraschmieriger Witwentröster, Arnie als Jake Lloyds Dad, die Frau als Arnies Frau, dazu Sinbad (Der Komiker) als Arnies Erzfeind, megageil.

Der Film spielt in einem Amerika, dass mit quasi stalinistischer rationierung von Konsumgütern zu kämpfen hat und in dem ein einziger Artikel (!) in der Lage ist, Black-Friday-esque Massen-Autokäufe auszulösen. Wir leben in Zeiten, in denen die Bilder von Konsumenten, die sich gegenseitig niedertrampeln um DVD-Player für 20 Mark zu kriegen, nicht mehr kurios sind, sondern normal. So kann der Film, heute gesehen, kaum anders wirken wie eine Hunger-Games-ähnliche Parabel auf Konsum als moderne (Treib)Jagd, die den Mensch wieder zum Tier werden lässt. Unterwegs begehen Arnie und Sinbad genug Verbrechen, um zumindest einen von beiden mind. 40 Jahre in einem Bundesgefängnis zu bescheren (Sinbad natürlich, wem wollen wir was vormachen). Ich fand ihn auf eine unorthodoxe Weise sehr unterhaltsam, weil wirklich... fucking Arnie. Megaviele Stuntsequenzen, viel Gewalt, alles was fehlte wäre eigentlich nur ein FSK-18-Rating, damit man richtig auch Blut und Leichen sehen könnte. Wäre dann kein Kinderfilm mehr, ist es aber so ohnehin nur weitestgehend der Form wegen. Wenn man es eine Weile (so ein bis zwei Jahrzehnte) nicht mehr gesehen hat, kann Real-Life-cartoonmäßiger Zerstörungsquatsch ganz unterhaltsam sein.

Wirklich komplett wäre der Film aber erst, wenn Paul Verhoeven ihn gedreht hätte.
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