Magnet  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 10.11.2016 11:43 Uhr
Thema: Gomorrha - Bella Italia Antwort auf: Stream of Conciousness von Icheherntion
Ohne den jungen Papst unter mir gesehen zu haben, behaupte ich einfach mal das die neapolitanische Variante dann das Kontrastprogramm ist.

Habe kürzlich die 2. Staffel beendet (S3+4 sollen produziert werden) und muss noch mal schnell etwas dazu loswerden. Worum es geht sollte jedem klar sein, basierend auf dem Buch von Saviano und ohne direkten Bezug auf den Film sehen wir also in das Innenleben eines sympathischen Camorra-Clans. Alles, wirklich alles hat man schon mal irgendwie gesehen. Die verschiedensten Mord- und Foltermethoden, Machtspielchen, Verrat - das komplette Programm der Scheißigkeit schlechthin.

Bemerkenswert ist die Abwesenheit jeglicher Sympathieträger. Auch nicht in der Form von ambivalenten Arschlöchern oder gar eines Tony Soprano. Am Anfang glaubt denkt man noch, Kollege Ciro (gespielt vom jungen Pep Guardiola) wäre so ein Fall, aber auch hier - einfach nur Arschloch. Es gibt lediglich Abstufungen und Kategorien von Arschlöchern. Ein zweite Ebene, z.B. Kampf der Polizei o.a. gibt es auch nicht. Totaler Fokus auf die Arschlöcher! Es gibt natürlich, insbesondere in S2, Figuren (nennen wir sie mal Opfer), mit denen man mitleiden kann. Die handlungstreibenden Protagonisten bleiben im wesentlich,  nunja, die Arschlöcher.

Insgesamt ein hypnotischer Abwärtsstrudel aus Gewalt, der Abwesenheit jedweder Moral oder solchen Quatsch wie Mafiaehre. Hier wird für 2 Mark Fuffzich die Seite gewechselt und der Kumpel bekommt ne Bleifüllung in die Schädeldecke gezimmert. Scampia, die Betonburg in Neapel sieht wie eine Mischung von Eisenhüttenstadt und Aleppo aus. Ausgeblichene Farben, dazu Elektrobeats oder italienischer HipHop. Geil auch diese lächerlich plakative Religiösität der Leute. Dazu kommt natürlich der radikale Umgang gegenüber jeder Figur, die GoT in nichts nachsteht. Weiteres Highlight sind viele der Inneneinrichtungen der z.T. gut betuchten Clanleute. Eine Abscheulichkeit aus Plastikbarock und Kitsch, als ob ein Bert Wollersheim der Innenarchitekt war. Unfassbar.  

Kritisieren kann man eventuell manche Logiklücke und Anknüpfungspunkte der Handlung. Die Charaktere sind eher holzschnittartig angelegt und man darf keinen Tony Soprano, Walter White oder Al Swearengen erwarten. Es gibt hier keine coolen Oneliner, Punchlines oder Tiefenpsychologie. Es sind Arschlöcher, auch wenn sie Frau und Kinder haben und fünf mal am Tag das Kreuz küssen. Die deutsche Synchro verstärkt jetzt nicht unbedingt den Eindruck, dass man es hier nicht durchgängig mit Über-Schauspielern zu tun hat. Wer sich die OV mal reingetan hat, kann ja gern mal berichten.

Alles in allem eine schöne Vorabend-Serie für die ganz Familie. Allerdings mit vielen Arschlöchern - aber es ist einfach derber Shit.

BTW: Den Produzenten würde ich gern ein Spin-Off vorschlagen wollen. Es gibt eine Folge in S1 wo Conte, der Boss eines rivalisierenden Clans, mit dem Auto von Barcelona nach Neapel fährt. Sehr chillig sitzt er im Fond und zieht an seiner  E-Zigarette, schaut aus dem Fenster und spielt nicht auf Nintendo Switch. Sehr beruhigend und man könnte daraus eine schöne Reiseserie machen: Conte in Paris, Conte in Detmold oder so. Conte ist übrigens auch ein Arschloch.
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