Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 12.02.2016 15:36 Uhr
Thema: Re:Speedreading ist quatsch Antwort auf: Re:Speedreading ist quatsch von Don Cosmo
>>Stell dir vor, du liest einen Roman. ... Speedreading ergibt höchstens für Sachtexte oder die Morgenzeitung Sinn.
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>Ich sagte doch auch, daß ich es als sehr anstrengend empfinde. Ich lese auch gerne und viel, aber gerade weil es mir Spaß macht, will ich da nicht wie ein Eumel auf einen Fleck starren müssen.
>Und nochmal, ich lobe das Speedreading nicht, ich finde es nur faszinierend, was das Gehirn alles kann und das ist eben ein Ausdruck dessen.


In dem Kontext (Was das Gehirn alles kann) finde ich Autofahren beeindruckender. Aus rein neurologisch-rezeptorischer Sicht. Sich selbst so eine Art Ludovici-Methode für Texte aufzuerlegen, macht mich traurig, es sorgt nicht für Eindruck.

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>>Ich finds gruselig. Geldschneiderei von Arschlöchern, die Kultur und Denken hassen. Eine Welt, in der Menschen so lesen, ist dystopisch.
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>Ich hab es nun nicht recherchiert. Der Inhalt des ersten Gifs klingt natürlich schon so, als wolle man damit Geld verdienen, so wirklich vorstellen kann ich mir das nicht ... vielleicht als App, die dann Websiten oder Artikel oder Bücher so aufbereitet!? Aber vielleicht wollen es genug Leute so haben, ein Markt findet sich noch für jedes abstruse Konstrukt!


In Berlin hab ich in der Ubahn schon öfter Werbung für Speedreading-Kurse gesehen. Und im Lauftext von N24 ("LERNEN SIE SPEEDREADING! TELEXTEXTSEITE 774 JETZT!!!"). So in einem Umfeld, wo auch für Rechtsanwälte mit speziellen Fremdsprachenkenntnissen und klinische Versuche für neue, coolere Antibabypillen geworben wird. Und für private Zahnkliniken in der tschechischen Republik.

Nicht mein Ding.

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>>Ja, aber was ist denn dann der Sinn der Sache?
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>Für mich war der einzige Grund für das Posting: "Es geht!"


Ja. Ich hab membran Ikaruga spielen sehen. What else is new?

Das zeigt, dass man so lesen kann, wie manche Leute Guitar Hero spielen können. Eh.

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>>Manche Sachen _brauchen_ lange, um sie richtig genießen zu können. Keiner füllt sich zehn Austern in eine Biertulpe und ext die dann mit ein, zwei Schuss Zitronensaft, weil man sich so das ganze Gefummele spart.
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>Aber Druckbetankung beim Bier gibt es doch!!1


Ja. "Wirkungstrinken" exitiert, in der Tat. "Wirkungslesen" gibt es aber offenbar nicht wirklich, sonst würden in diesem Land nicht so viele Deppen rumlaufen.

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>>Um wieder mit einem völlig schiefen Vergleich den Asiat ins Spiel zu bringen: Die Teezeremonie ist eigentlich genau das, eine Demonstration von Konzentration und Langsamkeit, die uns zeigt, das Effizienz und Schnelligkeit nicht alles ist, weil wir darüber unsere Würde als Menschen mit Kultur verlieren.
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>Und die Teezeremonie zelebriert kaum noch wer, weil sie viel zu lange dauert.


Man kann das bedauern.

>Nur noch Hartgesottene. Aber nein, ich will dieses schiefe Vehikel nicht weiter schieben, die meisten Asiaten kaufen nun dennoch lieber den Tee fertig im Convenience-Store als daheim 3 Stunden den Teepinsel zu schwingen. Effizienz gewinnt heute doch fast immer, wenn man keine Hardliner befragt.

Das stimmt absolut, ist aber deprimierend. Japan war mal ein sehr schönes Land, jetzt ist alles voll mit Autobahnen ins Nichts und jede natürliche Küste zubetoniert. Das ist kein Fortschritt, dass ist Vandalismus. Die Menschenkäfige, die wir in den sechziger, siebzigern hochgezogen haben, weil wir alle dachten, dass das, was mit Hühnern funktioniert, für Menschen ja nicht schlecht sein muss, werden heutzutage von deutschen Architekten in China gleich in metropolengröße aus dem Boden gehämmert. Ideologie, die nicht nur Denken, sondern konkret Lebenswelten beeinflusst und schafft, und in dem Zusammenhang dezidiert schlechtere Lebenswelten. Asien sieht mittlerweile in den Großstädten schlimmer aus als Bonn-Tannenbusch. Alle fressen nur noch drei-minuten-ramen mit Geschmack aus dem Tütchen. Und weil die alle so blitzgescheit sind, machen wir es nach.

In Japan machen die Leute keinen Campingurlaub, weil sie Natur und deren Unbillen zum kotzen finden. Die Vorstellung, nicht auf ein Roboterklo gehen zu können, dass einem mit einem Laser den Arsch abwischt, sondern auf einen Donnerbalken, und mit nem Reisigbesen zu fegen anstatt den Roomba machen zu lassen, ist für die schlimmer als die Hölle. Und ja, damit geht ein wenig Menschlichkeit aus der menschlichen Existenz raus. Wenn ich mir angucke, dass in Südkorea fast nur Werbung für Beautyprodukte gemacht wird und in Japan fast nur Reklame für irgendwelche Red-Bull-Shot-ähnlichen Energie-Toniken für Salarymen, dann tun mir die Leute leid. Druckbetankung mit billigem Pissbier, das wirklich aussieht wie Urin mit Schaumkrone und Rechtssysteme in denen du fürs Kiffen jahrelang in den Knast wanderst (In Südkorea können Streifenpolizisten einfach so Drogentests durchführen, und wer bspw. positiv auf Cannabinoide getestet wird wandert deswegen schon in den Bau). Totalitäres Denken. Zweckungebundenes, ineffizientes Denken hierarchisch abwerten.

In Asien ist das (Das sich entledigen von alltäglichen Lästigkeiten oder dessen, was man als solche wahrnimmt) eine Art Überwindungsritus der Vormodernität: Man will nicht mehr rückständig sein. Man will nicht mehr mit dem Waschzuber Wäsche waschen etc. Wenn man drüber nachdenkt, ist das nicht nur in Asien, sondern überall so. Kein Fleisch mehr essen, keine zuckerhaltigen Getränke mehr trinken, nicht mehr zu Fuß gehen oder mit dem Zug fahren sondern mit dem Auto oder fliegen. Weit reisen, damit jeder weiß, was für ein moderner Mensch man ist und was man alles kennt. Irgendwelche random verhaltensmuster nachäffen, weil einem das als dolles Ding verkauft wird. Das klingt jetzt einerseits schrecklich konservativ und andererseits wie eine persönlich gegen dich gerichtete Tirade. So meine ich das nicht. Ich spreche nur allgemein über die Willkür dessen, was wir als "gut", "richtig" und "sinnvoll" erachten. Da kommt dann am Ende sehr oft bei raus "GEZ ist schwul!" oder "Im Theater läuft eh nur scheiße vor leeren plätzen, warum muss das mit MEINEN STEUERGELDERN gefördert werden?"

So wie ich jetzt auch nicht Winston Churchill posthum den Arsch küssen muss, aber der dann doch gesagt hat, auf die Aufforderung, während des laufenden zweiten Weltkriegs doch die nationale Förderung der Künste einzusparen: "Und wofür sollen wir dann kämpfen?"

Warum macht in Japan überhaupt noch jemand Teezeremonien, oder baut Häuser aus Lehm, Reet und Holz? In welchem Land der Dichter und Denker gibt es nochmal Speedreadingkurse, Valentinstagssalami, die AfD, Til Schweiger und all die unzähligen Fußtruppen des Schwachsinns und der Verblödung? Wie kann man einen Krieg verarbeiten und mit einem Völkermord "endgültig abschließen", der wichtige Teile unseres kulturellen, geistigen Lebens und damit unserer Identität verjagt oder ermordet hat? Wie können sich hierzulande Leute erdreisten, ihren Arsch für wertvoller zu halten als den von irgendeinem anderen armen Tropf?

Detoxing, Fitnessarmbänder, batteriebetriebene Fressepolierer ([http://www.amazon.de/dp/B007W1IBN8]), whatever - ich bin ja auch froh, dass ich mein Essen nicht mehr selber jagen muss, und ich halte rumdaddelei in den sozialen Medien auch nicht für geistiges AIDS, aber manche Sachen, die "wir" als Gesellschaft oder als Spezies einfach machen, weil alle sie halt machen, sind teilweise auf einer sehr fundamentalen Ebene beschissen, und fast niemand denkt da groß kritisch drüber nach. Werden wir halt eben alle 120. Wie wir damit umgehen, dass ein Viertel von uns dann vierzig Jahre vor dem eigenen Ableben nur noch Buttermilch und Löschkalk in der Birne haben, überlegen wir uns später.

Hybris. Jajaja, auch menschliches Streben. Wie würde Pep sagen? "Super super super!"

>Will sagen: Der Einspruch ist berechtigt und richtig, die Realität der Allgemeinheit könnte dann doch anders aussehen, ob einem das lieb ist oder nicht.
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>>Sachen wie "Schnell lesen", "Schnell rechnen" und "Viel auswändig lernen" können wird aber immer Leuten als "Ausdruck" von "Intelligenz" verkauft
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>Davon halte ich auch nichts, das ist alles etwas, das man trainieren kann, wobei es dem einen nur leichter fallen wird als dem anderen, was aber auch in sich wieder kein Anzeichen von Intelligenz ist.


Naja, vielleicht schon. Aber wer muss sich noch den Stress mit einem fotografischen Gedächtnis machen, wenn er immer eine Kamera dabei hat?

Ich finde Gedichte auswändig lernen Scheiße. Es ist aber wichtig, dass man weiß, dass es Gedichte gibt und man schon mal welche gelesen hat. Ich stelle nicht den Sinn von Lyrik infrage, sondern die Angewohnheit von uns als Menschen, alles, was nicht direkt nützlich ist, irgendwie doof zu finden. Ich nehme mich da ausdrücklich nicht aus. Und es hat ja auch seinen Sinn. Aber wenn man alles im Leben so sieht, dann wirds schlimm.

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>>Ja, aber ist es dann wirklich smarter, einfach blind alles zu lesen ("Geht ja schnell!") oder vor dem lesen schon aufgrund von Kontext etc. zu entscheiden, manche Mail nicht zu lesen, weil sie einen nicht betrifft etc.?
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>Die Mailflut ist schon krass teilweise, da siebe ich grob aus, was mich betrifft und was nicht.


Okay, klar. Ich will da jetzt auch keine Volksreden schwingen, dass man das doch kollektiv Userseitig verringern müsstekönntesollte, whatever. Ist ja vielleicht auch wichtig, dass so zu regeln. Und in größeren Firmen war ich immer ein zu kleines Licht, um groß mit Mails dichtgeschissen zu werden bzw. wenn, die alle ernst zu nehmen oder zu lesen.

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>>Ich mein das jetzt nicht mit irgendeinem arschigen Hintergedanken: Gibt es da so viele Sachen aus so vielen Mails, die du dir merken musst über Zeiträume von unbekannter Länge? Kann ja durchaus sein, und für mich wäre das absolut zum kotzen, weswegen ich ja nicht deine Arbeit mache, sondern du.
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>Doch, klar. Aber bei 30-50 Mails pro Tag (Entwicklermails mal nicht mit eingerechnet, wo wir fürs System dokumentieren, was bei welchen Änderungen gemacht wurde) kann man es sich gar nicht merken. Das Mailarchiv wiegt auch bald 2 Gigabyte und das bei vielen Mails, die einstellige KiloBytes schwer sind.
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>>Und für Programmierer ist sowas bspw. super. Aber dann reden wir von Jobs, wo man dann gleich fragen könnte: "Warum macht das nicht jetzt schon ein Computer?" Und das wird ja auch gemacht, die Automatisierung von Bürojobs.
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>Noch ist man nicht so weit, daß die Programmierung automatisiert werden könnte. Wenn dem mal so werden sollte, wechsel ich in den Fachbereich, haha!


Ja, deswegen wollte ich auch nochmal festhalten, dass das jetzt nicht auf dich persönlich gemünzt war. Aber viele Jobs, die lediglich in der Verarbeitung von Daten liegen, und die nicht Teil staatlicher Behörden sind, werden automatisiert werden. Sowas wie Personalabteilungen oder Buchhaltungen. Ich hab auch manchmal den Eindruck, dass das Endziel mancher Stoßrichtungen der EDV nur darin besteht, sich selber abzuschaffen bzw. die Menschen, die darin vorkommen. Ich hab letztens mit jemandem gesprochen, der in einem Informatik-Startup arbeitet, welches einen Algorhitmus entwickelt, anhand dessen das Abstimmungsverhalten in legislativen Prozessen vorhergesagt werden kann, mit über 90%iger Wahrscheinlichkeit. Da können sich Firmen Gutachten oder Prognosen erstellen lassen, ob dies oder jenes Gesetz in jenem Bundesstaat, bis hin zu einzelnen Landkreisen, verabschiedet werden wird. Das ist ein äußerst erträgliches Geschäft. Aber fucking horrifying. Auf so vielen Ebenen.

>>Ja, und ich sage auch nur "Alles" kann es gar nicht mitbekommen.
>
>Ich weiß, worauf Du wohl hinaus willst, aber wenn der Text dort "normal" gestanden hätte, ist auch die Frage, ob Du "Alles" mitbekommst, egal wie langsam es gelesen wird. Mir ging es da auch nur um das Maschinengewehrartige Ballern der Worte direkt ins Zentralgehirn und daß dieses nicht "tilt" macht, sondern weiter aufsaugt.


Wörter und Buchstaben sind bei weitem das Unkomplexeste, was dein Gehirn aufnimmt. In dem Moment, in dem du diesen Text liest. Während du diesen Schlababbel von mir geistig aufsaugst, riechst du etwas, schmeckst du etwas und dir juckt ein Haar am Arsch. Während du diese Fingerübung meinerseits schwachsinnigerweise immer noch liest, denkst du an dein holdes Weib in einem Hauch von nichts, während sie dir Sauerkrautsuppe mit altem Brot vom Italiener auf der Ecke kredenzt. Du kannst die Sauerkrautsuppe glatt riechen, zusätzlich zu dem alten Kaffeerest, der 50 Zentimeter neben deiner Tastatur daherranzt. Du kannst den Teppichboden riechen und an den Geruch vom Italiener auf der Ecke. Plötzlich steht hinter dir ein Frosch mit einer Hubschraubermütze und sagt "Ich bin eine zwölfjährige Architektin aus Wallau-Massenheim".

Was auch immer in deinem Kopf vorging, während du den Absatz oben gelesen hast, ist beeindruckender als die Schnörkel und Kringel, die dieses mentale Feuerwerk auslösten, noch meine extrem wenig beeindruckende Leistung, irgendwelche random scheiße aneinanderzureihen. Was auch immer du dir dabei vorgestellt hast, ist viel wunderbarer, faszinierender und magischer als die Zeit, die du mit dem Lesen von einem glorifizierten (nichtmal das) Blidtext verbracht hast. Wenn DAS bei dir auch beim Speedreaden passiert, chapeau, du bist ein Alien.

>Wenn ich normal geschriebene Texte lese,

Was sind "normal geschriebene Texte"? Ernstgemeinte Frage.

>spricht mein kleines Hirn immer mit, was da steht, das macht es in erster Linie langsam und zudem angenehm, weil man Tonlage verändern oder im Falle von membran alles mit Quiek-Stimme lesen kann. Das geht beim Speedreading gar nicht, so schnell "spricht" mein Gehirn nicht, so schnell "liest" es nur.
>Manchmal verfalle ich sogar bei spannenden Texten in dieses "stille" Lesen, weil ich wissen will, wie es weiter geht. Stoppe mich dann aber immer und zwinge mich zum nochmaligen, geduldigen Lesen der Abschnitte. Es macht einfach keinen Spaß, zu hetzen bei Texten.


Ja eben. Und wenn man hetzt, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass man sich das Lesen generell sparen sollte.

>
>Wie gesagt, ich finde die Gehirnleistung respektabel, aber diese Art des Lesens weder erstrebenswert noch sinnvoll oder gar besser.


Aber beeindruckend! Und meine Frage war da: Warum nur, in dreiteufelsnamen?

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>>Aus so vielen Gründen. Es ist ein gutes Thema für einen Beitrag bei Gallileo, aber ich (!) finde es schauderhaft aus den genannten Gründen. Weil's für mich auch den Ruch von ner politischen Agenda hat und von einer Sicht auf die Welt zeugt, vor der ich ernsthaft Angst habe.
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>Du meinst, daß man das Potenzial des Hirns noch mehr ausreizen muss und jeder der es nicht tut, hält den Fortschritt auf? Daß die Welt immer beschissener wird, da sind wir uns wohl einig, aber wenn die Lesegeschwindigkeitspolizei bei Dir klopfen sollte ... einfach nicht aufmachen!!1


Na, es sind halt einfach Weltbilder. "Wenn du speedy genug readen kannst, wirst du eines Tages so schlau, dass du eine Maschine erfindest, die alle Supermarktkassiererinnen dieser Welt abschafft!" "Aber ich will Supermarktkassiererin werden!" "TOUGH TITTY!"
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