Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 15.10.2015 20:03 Uhr
Thema: Gravity (Film wird hier komplett gespoilert!) Antwort auf: Scharfe Filme: HD-Empfehlungen für Genre-Fans! von Don Cosmo
War echt gut. Also nicht so, dass ich hier die Bude vollejakuliert hätte, aber echt gut. Was ich von Anfang an überzeugend fand war die mit 90 Minuten angegebene Lauflänge, na das ist doch mal was, ein herrlich altmodischer, lupenreiner 90minüter, dass ich das noch erleben darf!

Interessant auch, dass es ein Blockbuster ist, in dem nur zwei Schauspieler mitspielen (bzw. zu sehen sind). Hat auch Seltenheitswert und macht den Film, trotz des ja wohl an räumlicher Weite buchstäblich nicht zu überbietenden Settings rein auf dem Papier zu einem Kammerspiel, zu dem der Film ab dem Midpoint dann auch tatsächlich wird, wenn Bullock durch nicht eine, nein, gleich zwei Raumstationen mit dazugehöriger Rettungskapsel krabbelt.

Plottechnisch absolut solide. Das schöne an dem Film ist, dass er strukturell total spartanisch ist: Es gibt keine Subplots. Es gibt keine Nebenfiguren. Es gibt kaum Dialog, es gibt keine wirkliche Exposition (es gibt "expositive dialogue", aber auch den nur aufs allernötigste reduziert) sondern eine in Echtzeit ablaufende Folge von Ereignissen.

Damit wären wir bei der zweiten praktischen (Sub)Genreschublade, dem Katastrophenfilm. Aber fühlt es sich an wie ein Katastrophenfilm, wenn die Katastrophe, die passiert, derart intim ist? Würde man "96 Hours" als "Katastrophenfilm" oder Kammerspiel bezeichnen? Nein, dafür haben wir so schöne, praktische Wischiwaschi-Formulierungen wie "Survival-Drama", frisch aus dem dialektischen Hobbykeller der Cinema-Redakteurs-Prosa. Ist "Gravity" also ein Survival-Drama? Ja, ganz sicher ist es das! Sheesh. Am Ende ist es ein episches, packendes Sci-Fi-Drama im Weltraumsetting. Darunter kann sich komischerweise jeder was vorstellen, obwohls totaler Quatsch ist.

Jedenfalls hat der Film zwei Sachen für sich laufen: Im Weltraum verschütt zu gehen ist furchtbar gruselig, genauso schlimm wie ertrinken, nur halt nicht im Meer oder auf irgendeinem Planeten. Da hat echt keiner Bock drauf, und die Ausweglosigkeit so einer Situation erschließt sich selbst dem letzten Volltrottel sofort. Die Grundidee ist also schonmal killer. Dank CGI sehen Szenen mit Astronauten während E.V.A. auch nicht mehr so aus wie die Augsburger Puppenkiste, allerdings übertreibt der ohnehin nicht für sonderliche Mäßigung bekannte Cuaron es dann doch mit der entgrenzten Kameraarbeit. Es verliert sich komplett in den Pirouetten und Schnörkeln um die Protagonisten und deren Setting herum und melkt die räumliche Desorientierung über Kameraarbeit bis zum absoluten Maximum. Wo ich instinktiv klare und vor allem direkte Schwenkachsen bevorzugt hätte, gibt sie dem Film aber Dynamik und konstante Bewegung. Hört sich jetzt komisch an. Im Grunde und nach einigem Nachdenken finde ich die Kameraarbeit und den "trudelnden" Ansatz ganz hervorragend, da er der Story sowohl vollkommen dient als auch sie synergetisch erweitert, reflektiert und doppelt. Der Film wäre mit "strukturalistischer", klarer, geometrisch präziser Kameraarbeit (Die Kameraführung ist so auch "geometrisch präzise"... ach, ich hab zu wenig ahnung von kamera um das gut zu erklären glaub ich) schlicht nicht derselbe und unbestreitbar schlechter, aber so wie Lautstärke manchmal gut ist, auch gut über lange zeit, heißt das nicht, dass Konzerte auch von Manowar die Lautstärke von einer startenden Raumfähre haben brauchen. Auch im Exzess kann ein klitzekleines bißchen Dosierung und Zurückhaltung Wunder wirken.

Emotional haut der Streifen den Kitsch nur so auf die Leinwand als wär's die Tortenschlacht am Ende von "Alles nichts, oder?!". Ist auch völlig legitim, wie willst du sonst EMOTION reinbringen mit nur 1 Schauspieler? Genauso wie das amüsierte Aufeinandertürmen von fast grotesk furchterregenden Katastrophen (Am Ende, nachdem sie alles überstanden hat, wider jeder menschlich fassbaren Wahrscheinlichkeit, ersäuft sie fast in ihrer Rettungskapsel! Ich musste lachen, und das war sicher der Effekt, auf den Cuaron hinauswollte, erschrecken und erschrecktes Lachen), diese Reinheit der Eskalation - natürlich ist das alles unrealistisch, es gäbe keinen Film, wenn die ALLE von Weltraumschrott zerfetzt worden wäre wie es die Vernunft gebieten würde. Sandra Bullock erfährt mehrfach das Pendant zu "Shotgunsalven in Form von Witterung" direkt ins Maul but lives to tell the tale. Geschenkt. Aber sie dann Froschlaichartig aus dem Urschlamm kriechen zu lassen wie den Frosch, der winkwinknudgenudge mäßig einen Augeblick durchs Bild kraulte... Jesus Christus. God complex, much?

Aber ich bin der letzte, der 90 Minuten guter Unterhaltung die große Kelle Quatsch mit Soße nachträgt, mit der sie serviert wird.
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