Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 12.08.2014 01:41 Uhr
Thema: Re:Die Tage gekauft Antwort auf: Re:Die Tage gekauft von Bullitt
>>Ich brauchte mal Pause von DFW
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>DFW?


Sorry, David Foster Wallace. Nervt halt den Namen voll auszuschreiben jedesmal.

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>>Dann "The Unwinding" von George Packer. Ich hatte zu dem Buch auf NDR Info eine Buchvorstellung gehört letzte Woche, und fand das Thema ganz interessant (Der wirtschaftlich-ideelle Abstieg der USA).
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>Grundsätzlich mag ich solche Themen auch sehr, aber eine Frage stellt sich gerade: Sind Wirtschaft und die Ideologie wirklich so untrennbar verbunden in der Argumentation des Buches? Würde ich - sagen wir mal so - problematisch finden, weil dies geradezu nach einseitigen Urteilen schreit, und imho die Ideologie eine ziemliche Konstante der USA ist.


Auf die Gefahr hin, dass wir aneinander vorbeireden (Was "Ideologie" ist, sieht ja mancher ganz anders als man selbst, und was die "amerikanische Ideologie" ist gibt vielen Zeitgenossen ja Anlass genug zu gehörig abenteuerlichen Gedanken). Und wie man "untrennbar verbunden" definiert angesichts der Lektüre des Buchs wird wahrscheinlich auch jeder anders sehen/lesen. Hm.

Ich kann dazu (hab das buch jetzt ca. halb durch) nur soviel sagen:

Es wird im großen und ganzen von anfang an eine Argumentation aufgebaut, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, in die Ära der skrupellosen Kapitalisten, hin zum New Deal und der schleichenden Werteveränderung des Mittelstand in den 60er70er80ern, full circle von patriarchalem Konservativismus mit starken "sozialchristlichen" ("sozialkatholisch" wäre sachlich inkorrekt) Einflüssen über die Bürgerrechtsbewegung hin zum "Wohlstandsevangelium".

Der evangelikalisch-christliche Glaube ist untrennbar mit der Geschichte, die das Buch zu erzählen versucht, verbunden, und das natürlich völlig zurecht. Bestimmte objektiv nachprüfbare Veränderungen, die auf andere Entwicklungen Einfluss nehmen, spielen da mit hinein: Die Hypothekenkrise hat sich 2008 in Florida entzündet, und der Weg dorthin lässt sich schwer isoliert von Einzelschiksalen und einander beeinflussende Entwicklungen in weit auseinander liegenden Teilen des Landes trennen.

Florida war mal ähnlich wie Kalifornien ein recht liberaler Staat, aber in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fanden viele Leute aus dem mittleren Westen ihren Weg dorthin, der Verheißung auf Reichtum folgend, der durch die pyramidenspielartig angetriebene Wachstums- und Entwicklungs-Turbowirtschaft versprochen ward. Bis in die mitte des letzten Jahrzehnts war das "flipping" von Wohneigentum, also das billige kaufen und teurere Verkaufen von Wohneigentum, zu einer Art Volkssport mutiert, und dieser Volkssport nährte sich erheblich aus dem "american dream".

Die Floskel "american dream" fällt in dem Buch nicht, aber ein Zitat wird regelmässig wiederholt: "If you can imagine it, if you can be sure to be achieving it, than you can do it". Das Oprah-Winfrey-Porträt ist da nicht ohne Grund drin, das Wohlstandsversprechen das in den sehr christlichen Gegenden der USA abseits der Metropolen und Küsten zum Wohlstandsevangelium wird, dieses Gleichnis des Säämanns (gibt es), auf jeden fall das mit dem Senfkorn, aus dem großer Reichtum gedeiht etc., das ist der Kern des amerikanischen Traums, und dieser Traum wurde zuerst richtig verbalisiert unter direktem Einfluss der frühen Industriemagnate (Tabak, Textilien, Stahl, zu geringerem Teil Infrastruktur). Diesen Teil zweifle ich auch nicht an, im Gegenteil, das wusste ich weitestgehend vorher schon.

Das Buch wird darauf hinauslaufen, dass die USA eine Plutokratie sind, was ja auch stimmt. Der Überblick ist durch den nüchternen Ton und den für sich sprechenden Inhalt auch zurückblickend für mich als Leser leichter wiederherzustellen als die schaum-vorm-mund-fakten- und polemik-dauerattacke aus Michael-Moore-Büchern. Aber der Erkenntnisgewinn ist (zumindest bis jetzt) stark überschaubar.

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>>Deutsche Übersetzung kostet geschmeidige 25 Euro, englisches Original sechs Euro irgendwas als Kindle Version.
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>Das war bei The Sleepwalkers von Christopher Clark (extrem gutes Buch btw!)


Thema?

>noch extremer: über 30 Euro vs. 5,irgendwas. Arsch lecken liebe deutsche Verlage, selbstverständlich gebe ich mir das dann in englisch.

Zumal sich Sachbücher oft gut weglesen. Meistens im AP Style geschrieben, da eh von Journalisten, wenig Fremdwörter, sehr nüchtern. Das muss mir jetzt keiner übersetzen, eventuell sogar noch unglücklich. Und deutsche Verlage bieten immer noch oft kein ebook an und wenn, dann oft zu teuer. Teurer als das englischsprachige original auf jeden fall. Ich hab bisher nur englische bücher auf dem kindle und für keins (oder eins) mehr als zehn euro bezahlt, die meisten so zwischen fünf und sieben euro. Das sind so Wohlthatsche-Buchhandlung-Preisregionen, ich schätze das. Abgesehen davon, dass ich meinen eReader unendlich mehr komfortabel finde als ein klassisches Buch, und einige bücher die ich lese, recht dick sind. Allein der beleuchtete Screen ist mir Gold wert.

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>>Das les ich gerade, bin auch schon zu nem drittel durch. Hmmja. Ich finde es so mittel. Einzelschicksale werden von den siebzigern an in form von festen zeitsprüngen verfolgt, drei vier "Otto Normalbürger", dazwischen werden Porträts von Prominenten eingesprenkselt, deren (öffentlichen) Lebensweg der Autor für exemplarisch oder besonders bedeutsam für sein Thema erachtet.
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>>Dazu kommen viel zu gewollt wirkende "Montagen", die als Trenner zwischen den Zeitsprüngen dienen und auseinandergerissene Songtexte, Nachrichten-Moderationstexte und berühmte Reden-Zitate von Politikern zusammenwurschteln, was wahrscheinlich wie ein übergang in einer TV-Geschichtsdoku wirken soll, aber irgendwie einfach nur behämmert und "self-important" wirkt. Der Erkenntnisgewinn hält sich zudem bisher ebenfalls in extrem engen Grenzen. Muss man nicht lesen, es sei denn, es wird nochmal geil zum Ende hin. Er arbeitet sich am Anfang vergleichsweise schnell durch die 60er70er80er90er durch, mit kurzen Exkursen bis ins 19. Jahrhundert hinein, um die Geschichte der Stahl- und Texttilindustrie nochmal kurz zu umreißen in bestimmten regionen. Deswegen gehe ich davon aus, dass die restlichen zwei drittel mehr auf die jüngere vergangenheit konzentrieren, die letzten 12-14 Jahre.
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>>Jetzt schon absehbare Schlußfolgerungen: Amis lieben ihr Wohlstandsevangelium, Washingtons Politbetrieb ist schlimm, Erfindungsreichtum und Unternehmergeist werden den Atomkrieg überleben.
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>>Aber es ließt sich einfach weg, auch wenn wegen des biografieähnlichen ansatzes (Der Autor konstruiert alles ausgehend von den Lebensgeschichten seiner Protagonisten) es manchmal etwas einschläfernd wirkt. 'Muricah.
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>Klingt grundsätzlich erstmal "unterhaltsam". Kannst du nochmal was dazu sagen, wenn du durch bist?


Ja klar, gern!

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>>Dazu noch "The Worst Date Ever: or How it Took a Comedy Writer to Expose Joseph Kony and Africa's Secret War" von Jane Bussmann, die als Autorin sowohl für South Park als auch für Brass Eye gearbeitet hat, beides von mir sehr hoch geschätzte Formate. Das Buch war (Als deutsche Übersetzung) unter den Abo-Prämien der Titanic. Wollte aber keine Titanic abonnieren und hab deswegen die Originalversion für Kindle gekauft. Les' ich evtl. nach dem Amerika-Ding.
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>Hier auch mal nen Eindruck wenn du dazu kommst?


Auf jeden Fall.

>>Achso, und "A suppossedly fun thing I will never do again" von DFW, was jetzt auch nicht so richtig passt zum Ansinnen, was zu lesen, um mich von DFW zu erholen, aber was solls. Infinte Jest ist absolut grandios, aber gerade WEIL ich eigentlich nicht mehrere Bücher parallel lese, ist das wie ein unerklimmbar scheinender Berg, und die aussicht darauf, bis weihnachten oder so quasi nichts anderes zu lesen für sich betrachtet schon etwas krass.
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>Und ich weiß immer noch nicht, was "DFW" sein soll.


David Foster Wallace. Sehr gut. Hatte ich das erste mal im studium mit kontakt, da haben wir essays von dem kopiert bekommen, hat ja auch über film geschrieben. Da ich damals eh sehr viel schachtelsatzlastigen scheiß mit absurd vielen fußnoten lesen musste, ging das damals eher unter, ähem. Und war damit auch für mich als "schwierig" verschrien, aber über die letzten jahre hab ich immer mal wieder einen essay von ihm gelesen und fand ihn im gegenteil zu meiner damals doch sehr vernebelten studentenmeinung ganz und gar großartig. Sehr sehr lustig und sehr, ja, herzlich. Wenn Depressionen eine olympische Sportart gewesen wären, er hätte immer gewonnen.

>Persönlich lese ich auch meist solche Dinge, welche ich eher zufällig billig sehe.

Ich reagiere fast nur auf Einflüsse von aussen, und die können teilweise auch sehr banal sein. Mir wurde mehrmals in meinem Leben befohlen, Faust 1 und 2 und die Buddenbrooks zu lesen, und hab es nie gemacht. Als ich mal ne mündliche Prüfung in Literaturtheorie hatte, hab ich mich warum auch immer (!) für "Die Freistatt" von William Faulkner entschieden, dass ich damals in der Buchhandlung am Potsdamer Hauptbahnhof wegen des Klappentexts gekauft hab, als mir am Wochenende mal langweilig war. Und weil es in der SZ-Edition nur fünf Euro kostete.

Ich hab glaub ich noch nie in meinem Leben so viel gelesen wie in diesem Jahr, ausgenommen als ich ganz klein war und ???- und TKKG-Bücher gelesen hab. Immer mal wieder, aber vielleicht ein, allerhöchstens zwei Bücher pro jahr, eher weniger. Ich hab auch gar nicht den Platz für den ganzen Scheiß, hier türmen sich ja schon die dvds und videospiele in unsortierten häufchen, weil keine regale mehr frei sind.

>Ausnahme zuletzt war das oben bereits angesprochene Sleepwalkers - das musste zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns einfach mal sein. Schon irgendwie seltsam, wenn man manche Ereignisse exakt auf dem Tag 100 Jahre später nachliest...
>Clark schafft hier den eigentlich unmöglichen Spagat, die Geschichte wirklich spannend und interessant zu schreiben, dabei jedoch jederzeit wissenschaftlich-fundiert zu bleiben. Und räumt dabei mit so einigen Legenden auf.
>Sollte eigentlich Pflichtlektüre sein für jeden, der irgendwas zur Ursache des ersten Weltkriegs sagen möchte.


Ah, achso. Naja, 1. Weltkrieg war wie 2. Weltkrieg nie so mein Thema. Aber mal gucken.
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