Felix Deutschland  (E-Mail nur eingeloggt Sichtbar) am 30.08.2009 01:28 Uhr
Thema: Der Bääärenjuude! Antwort auf: Der aktuelle Filmdienst - PP Final Cut von Felix Deutschland
Inglourious Basterds im Kino International auf der Karl-Marx-Allee OmU gesehen und war sehr gut unterhalten. Ich könnte jetzt ähnlich viel schreiben, wie ich nach dem Film mit meinen Begleitungen gesülzt habe, aber viel gibt es da eigentlich nicht zu sagen ausser das Tarantino einer der besten, wenn nicht sogar der beste zeitgenössische Dialog- und Schauspielerregisseur ist. Christoph Waltz haut einem wirklich die Latschen raus, Hut ab vor so einer Performance und Hut ab vor so einer Figur.

Was meine größte Angst war: Eine Pulpisierung des 2. Weltkriegs. Die Führungsspitze der Nazis, also Goebbels und Hitler (Göring und Bormann haben keine Sprechrollen) waren Karikaturen, aber nicht völlig überdreht, sondern eher mit einer Art lächerlichem Witz gespielt (Hitler und die Gegensprechanlage, Hitler und der Kaugummi, Goebbels doggystyle) - was nicht für die restlichen Nazis zutrifft, oh nein. Den Figuren wird mit einem für Hollywood äußerst untypischen Respekt begegnet. Selbst wenn Goebbels nicht so aussieht wie der real deal, allein sein nasaler rheinischer Akzent wäre fast jedem anderen regisseur entgangen. Aber zu den wahren Stars: Das Tarantino alle Nazis mit Deutschen besetzen ließ trägt zum Großteil dazu bei, dass das alles funktioniert. August Diehl spielt toll, Til Schweigers Figur ist einfach geil und der wahre Held des Films ist keineswegs Brad Pitt, sondern Christoph Waltz' Oberst Landa. Diese ausufernde Höflichkeit, dieser Witz, Intelligenz und widerwärtige Bosartigkeit könnten niemals von einem Ami aufgefangen werden. Die Deutschen reden wirklich organisch und authentisch, obwohl die szenischen Kosntruktionen immer sehr zugespitzt sind. Die Strudelszene zum Beispiel - genial. Da passt auch T.-Typisch wie im ganzen Film der Musikeinsatz Arsch auf Eimer. Mir ringt es höchste Achtung ab, Schauspieler in einer völlig fremden Sprache anzuleiten, und das kriegt Tarantino hin wie im US-Kino sonst nur Ang Lee zur Zeit. Eigentlich sogar noch besser.

Bemerkenswert ist, das der Film keine lineare Struktur hat, sondern stark elliptisch in fünf Kapiteln erzählt wird und sich somit einem klassischen Genre-Spannungsaufbau weitestgehend entzieht. Es gibt in der Tat etwa ein halbes dutzend ausgedehnte Szenen, in denen alles klar wird. Man braucht nur bei einer Figur die Backstory erzählen, der Rest geht nur über das szenische und nur über den Dialog.

Ich habe mich fast zweieinhalb Stunden lang nicht einen Moment gelangweilt, einfach wegen des irre guten Ensembles, das bis in die Winz-Nebenrollen (0,2 Sekunden Bela B.!) grandios besetzt ist. Ausnahme höchstens Hitler und der Bärenjude, den ich gern Samson-Mäßiger gesehen hätte, aber auch diese Figur funktioniert ausschließlich über fantastisches Build-Up ("Tock... tock... tock... tock...").

Die Fallhöhe stellt sich quasi automatisch ein, weil hier nicht irgendwelche 70er-Retro-Styler über Milchshakes referieren, sondern Nazis gegen Juden stehen und wirklich, wenn um den heißen Brei geredet wird, sitzt man trotzdem mit kerzengereade aufgerichteten Armhaaren im Kinosessel. Sowas wie die fantastische Eingangsszene macht dir heutzutage auch kein Regisseur mehr.

Interessant fand ich das Publikum: Wir waren mit die jüngstem im saal, viele alte Säcke. Aber kein einziges "Pfui!" oder so, sondern wirklich Lacher an den Stellen wo's lustig war (Und ich weiß nicht ob es durch die Art von Epochenstück kommt, die der Film ist, aber das komische Timing hab ich so bei Tarantino auch noch nich gesehen) und dieser "Man kann eine Nadel fallen hören"-Stille bei den spannungsszenen. Ich denke, für ein Publikum, dem Wolfenstein und Konsorten kein Begriff ist, ist das eine willkommene Kartharsis für ein nationales Trauma, das sich in der Form kein deutscher Regisseur angenommen hätte, auch keine Juden. Diese Chuzpe, eine legitime Rachephantasie auszuleben und dabei NICHT die Gegenseite nur als Klischee vorzuführen (Bzw. nicht als dumpfes Klischee - August Diehls Bierstiefel... ASS-LOL!), und sie trotzdem an die Wand zu nageln, das geht nur mit der Kraft der Liebe und der Entschlossenheit einer Rächerin.

Interessant, wie mit den Figuren umgegangen wird. Viele Schicksale hätte ich so nicht erwartet, aber die eruptive, qualitative Gewalt (Anstatt quantitativer) habe ich so... präzise und bewusst von Tarantino noch nicht eingesetzt gesehen. Nicht, dass er in dem Bereich mir als schluderig aufgefallen wäre, aber die Gewalt wirkt legitimierter und nicht so sehr wie Selbstzweck.

Bin mal gespannt, was der Rest so hier von dem Film hält, ich will keinen Roman schreiben. Nur gesagt haben: Den Film sollte man sich angucken. Und nichts mit Shia LaBeouf oder Bradley Cooper. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit, auch wenn die Eindrücke jetzt etwas konfus waren.
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